Indem wir bei den folgenden Bemerkungen über die Mundart des Dorischen Stammes nicht den Stand- punkt, von dem aus man gewöhnlich die Griechischen Dialekte zu betrachten pflegt, den der überkommenen Litteratur, sondern einen davon ganz verschiednen, den der Nationalgeschichte, fassen: muß sich uns manches auf andre Weise darstellen, als es bisher den meisten Forschern erschienen ist. Die alten Grammatiker schie- den aus dem Ganzen Griechischer Sprache die Doris, Jas und Atthis aus; die zurückbleibende Hauptmasse nannten sie mit einem Namen Aeolis, weil daraus blos ein Zweig, der Lesbische Dialekt, Schriftsprache einer Dichtungsweise geworden war; und doch enthielt dieselbe ohne Zweifel Gattungen, die unter sich sehr unähnlich und weniger verwandt waren als mit einzel- nen Zweigen jener ausgesonderten Dialekte. Darin aber ist man wohl einig, daß in der Masse Aeolischer Dialekte noch am meisten erhalten ist von der Griechi- schen, oder wenn man will Pelasgischen Ursprache; und daß zugleich viele Formen der letztern im Lateinischen mit großer Treue bewahrt worden sind, zum Theil deswegen weil die Italischen Ackerbauer dem altgrie- chischen Leben näher blieben als die Griechen selbst, und weil sie durch keine früh eingreifende Litteratur und keinen eklen Sinn für Wohlklang und Rhythmus
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Indem wir bei den folgenden Bemerkungen uͤber die Mundart des Doriſchen Stammes nicht den Stand- punkt, von dem aus man gewoͤhnlich die Griechiſchen Dialekte zu betrachten pflegt, den der uͤberkommenen Litteratur, ſondern einen davon ganz verſchiednen, den der Nationalgeſchichte, faſſen: muß ſich uns manches auf andre Weiſe darſtellen, als es bisher den meiſten Forſchern erſchienen iſt. Die alten Grammatiker ſchie- den aus dem Ganzen Griechiſcher Sprache die Doris, Jas und Atthis aus; die zuruͤckbleibende Hauptmaſſe nannten ſie mit einem Namen Aeolis, weil daraus blos ein Zweig, der Lesbiſche Dialekt, Schriftſprache einer Dichtungsweiſe geworden war; und doch enthielt dieſelbe ohne Zweifel Gattungen, die unter ſich ſehr unaͤhnlich und weniger verwandt waren als mit einzel- nen Zweigen jener ausgeſonderten Dialekte. Darin aber iſt man wohl einig, daß in der Maſſe Aeoliſcher Dialekte noch am meiſten erhalten iſt von der Griechi- ſchen, oder wenn man will Pelasgiſchen Urſprache; und daß zugleich viele Formen der letztern im Lateiniſchen mit großer Treue bewahrt worden ſind, zum Theil deswegen weil die Italiſchen Ackerbauer dem altgrie- chiſchen Leben naͤher blieben als die Griechen ſelbſt, und weil ſie durch keine fruͤh eingreifende Litteratur und keinen eklen Sinn fuͤr Wohlklang und Rhythmus
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1.
Indem wir bei den folgenden Bemerkungen uͤber
die Mundart des Doriſchen Stammes nicht den Stand-
punkt, von dem aus man gewoͤhnlich die Griechiſchen
Dialekte zu betrachten pflegt, den der uͤberkommenen
Litteratur, ſondern einen davon ganz verſchiednen, den
der Nationalgeſchichte, faſſen: muß ſich uns manches
auf andre Weiſe darſtellen, als es bisher den meiſten
Forſchern erſchienen iſt. Die alten Grammatiker ſchie-
den aus dem Ganzen Griechiſcher Sprache die Doris,
Jas und Atthis aus; die zuruͤckbleibende Hauptmaſſe
nannten ſie mit einem Namen Aeolis, weil daraus blos
ein Zweig, der Lesbiſche Dialekt, Schriftſprache einer
Dichtungsweiſe geworden war; und doch enthielt
dieſelbe ohne Zweifel Gattungen, die unter ſich ſehr
unaͤhnlich und weniger verwandt waren als mit einzel-
nen Zweigen jener ausgeſonderten Dialekte. Darin
aber iſt man wohl einig, daß in der Maſſe Aeoliſcher
Dialekte noch am meiſten erhalten iſt von der Griechi-
ſchen, oder wenn man will Pelasgiſchen Urſprache;
und daß zugleich viele Formen der letztern im Lateiniſchen
mit großer Treue bewahrt worden ſind, zum Theil
deswegen weil die Italiſchen Ackerbauer dem altgrie-
chiſchen Leben naͤher blieben als die Griechen ſelbſt,
und weil ſie durch keine fruͤh eingreifende Litteratur
und keinen eklen Sinn fuͤr Wohlklang und Rhythmus
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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/517>, abgerufen am 25.11.2024.
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