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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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aus freien Regungen poetischen Gefühls, wie sie Fest-
spiele veranlaßten, Litteraturgattungen zu bilden. Aus
dieser Versäumniß früherer Zeiten erklärt sich die selt-
same Erscheinung, daß mehrere Weisen Dorischer Dich-
tung erst in Alexandrinischer Zeit in den Kreis der
poetischen Litteratur des gebildeten Griechenlands ein-
traten, namentlich das bukolische Gedicht und die
Phlyaken Tarents. Man hatte dies Fastnacht-
spiel ohne Zweifel seit Jahrhunderten in genannter
Stadt gespielt, ehe es in der Zeit des ersten Ptole-
mäos durch Rhinthons darnach genannte Dichtwerke
auch anderswo bekannt wurde. Für diese braucht
man auch den Namen Ilarotragodia 1, und dieser
Name sowohl als die Titel der einzelnen Stücke 2 und
die erhaltnen Fragmente lehren, daß sie tragische Stof-
fe burlesk behandelten 3. Daß Rhinthon dabei die
Attische Tragödie nicht zur Seite liegen lassen konnte,
ist leicht einzusehn; namentlich mögen seine beiden
Iphigenieen, die in Aulis und Tauris, manche Parodie
auf Euripideische Stücke enthalten haben. Indessen
glaube ich doch, daß er sich im Wesentlichen an die
Form der alten Phlyakes hielt, wie er den Tarentini-
schen Dialekt treu wiedergab 4; auch kann man sich
überzeugt halten, daß er die einheimische Gattung für

1 Identisch mit phluakographia, Suid. s. v. Rinthon Aa.
2 Des Amphitryon, Herakles, Orest, Telephos, der Iphigenieen,
des Sklaven Meleagros bei Athen. Pollux, Hephästion, Herodian.
Was Osann Anal. p. 71. sagt, begreif' ich nicht: daß diese drama-
ta neque argumento a vulgato tragoediae et comoediae ge-
nere discrepasse neque metro.
3 So erklären auch Meh-
rere den Namen Phluakes, Steph. B. Taras. Eust. zu Dion. P.
976. phluakes tragikoi Nossis Epigr. bei Brunk. Anal. T. 1. p.
196. vgl. Reuvens Collect. litter. p. 71.
4 Apollon. Dysk.
de pron. p. 364 c. Bekk. vgl. Valcken. ad Adon. p. 294.

aus freien Regungen poëtiſchen Gefuͤhls, wie ſie Feſt-
ſpiele veranlaßten, Litteraturgattungen zu bilden. Aus
dieſer Verſaͤumniß fruͤherer Zeiten erklaͤrt ſich die ſelt-
ſame Erſcheinung, daß mehrere Weiſen Doriſcher Dich-
tung erſt in Alexandriniſcher Zeit in den Kreis der
poëtiſchen Litteratur des gebildeten Griechenlands ein-
traten, namentlich das bukoliſche Gedicht und die
Phlyaken Tarents. Man hatte dies Faſtnacht-
ſpiel ohne Zweifel ſeit Jahrhunderten in genannter
Stadt geſpielt, ehe es in der Zeit des erſten Ptole-
maͤos durch Rhinthons darnach genannte Dichtwerke
auch anderswo bekannt wurde. Fuͤr dieſe braucht
man auch den Namen Ἱλαροτραγῳδία 1, und dieſer
Name ſowohl als die Titel der einzelnen Stuͤcke 2 und
die erhaltnen Fragmente lehren, daß ſie tragiſche Stof-
fe burleſk behandelten 3. Daß Rhinthon dabei die
Attiſche Tragoͤdie nicht zur Seite liegen laſſen konnte,
iſt leicht einzuſehn; namentlich moͤgen ſeine beiden
Iphigenieen, die in Aulis und Tauris, manche Parodie
auf Euripideiſche Stuͤcke enthalten haben. Indeſſen
glaube ich doch, daß er ſich im Weſentlichen an die
Form der alten Phlyakes hielt, wie er den Tarentini-
ſchen Dialekt treu wiedergab 4; auch kann man ſich
uͤberzeugt halten, daß er die einheimiſche Gattung fuͤr

1 Identiſch mit φλυακογϱαφία, Suid. s. v. Ῥίνϑων Aa.
2 Des Amphitryon, Herakles, Oreſt, Telephos, der Iphigenieen,
des Sklaven Meleagros bei Athen. Pollux, Hephaͤſtion, Herodian.
Was Oſann Anal. p. 71. ſagt, begreif’ ich nicht: daß dieſe drama-
ta neque argumento a vulgato tragoediae et comoediae ge-
nere discrepasse neque metro.
3 So erklaͤren auch Meh-
rere den Namen Φλύακες, Steph. B. Τάϱας. Euſt. zu Dion. P.
976. φλύακες τϱαγικοὶ Noſſis Epigr. bei Brunk. Anal. T. 1. p.
196. vgl. Reuvens Collect. litter. p. 71.
4 Apollon. Dyſk.
de pron. p. 364 c. Bekk. vgl. Valcken. ad Adon. p. 294.
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[364/0370] aus freien Regungen poëtiſchen Gefuͤhls, wie ſie Feſt- ſpiele veranlaßten, Litteraturgattungen zu bilden. Aus dieſer Verſaͤumniß fruͤherer Zeiten erklaͤrt ſich die ſelt- ſame Erſcheinung, daß mehrere Weiſen Doriſcher Dich- tung erſt in Alexandriniſcher Zeit in den Kreis der poëtiſchen Litteratur des gebildeten Griechenlands ein- traten, namentlich das bukoliſche Gedicht und die Phlyaken Tarents. Man hatte dies Faſtnacht- ſpiel ohne Zweifel ſeit Jahrhunderten in genannter Stadt geſpielt, ehe es in der Zeit des erſten Ptole- maͤos durch Rhinthons darnach genannte Dichtwerke auch anderswo bekannt wurde. Fuͤr dieſe braucht man auch den Namen Ἱλαροτραγῳδία 1, und dieſer Name ſowohl als die Titel der einzelnen Stuͤcke 2 und die erhaltnen Fragmente lehren, daß ſie tragiſche Stof- fe burleſk behandelten 3. Daß Rhinthon dabei die Attiſche Tragoͤdie nicht zur Seite liegen laſſen konnte, iſt leicht einzuſehn; namentlich moͤgen ſeine beiden Iphigenieen, die in Aulis und Tauris, manche Parodie auf Euripideiſche Stuͤcke enthalten haben. Indeſſen glaube ich doch, daß er ſich im Weſentlichen an die Form der alten Phlyakes hielt, wie er den Tarentini- ſchen Dialekt treu wiedergab 4; auch kann man ſich uͤberzeugt halten, daß er die einheimiſche Gattung fuͤr 1 Identiſch mit φλυακογϱαφία, Suid. s. v. Ῥίνϑων Aa. 2 Des Amphitryon, Herakles, Oreſt, Telephos, der Iphigenieen, des Sklaven Meleagros bei Athen. Pollux, Hephaͤſtion, Herodian. Was Oſann Anal. p. 71. ſagt, begreif’ ich nicht: daß dieſe drama- ta neque argumento a vulgato tragoediae et comoediae ge- nere discrepasse neque metro. 3 So erklaͤren auch Meh- rere den Namen Φλύακες, Steph. B. Τάϱας. Euſt. zu Dion. P. 976. φλύακες τϱαγικοὶ Noſſis Epigr. bei Brunk. Anal. T. 1. p. 196. vgl. Reuvens Collect. litter. p. 71. 4 Apollon. Dyſk. de pron. p. 364 c. Bekk. vgl. Valcken. ad Adon. p. 294.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/370>, abgerufen am 26.11.2024.