Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

schen oder Idäischen Gottes und des Helden von Theben
abgeleitet werden, da Herakles auch an solchen Orten gött-
liche Ehre genießt (z. B. zu Messene u. Marathon) 1, wo
an eine solche Vermischung schwerlich zu denken. Son-
dern er ist Gott als das Ziel menschlicher Kraft dar-
stellend, wo sie nach Griechischen Begriffen an die Gott-
heit anstreift, als höchste Potenz des heroischen Wesens.
Sein Leben und Wirken hienieden aber ist in den ältern
Mythen ganz menschlich, da diejenigen Fabeln, die ihn
darüber hinausheben, wie z. B. alle sich um die Gi-
gantomachie drehenden 2, durch sich selbst spätern Ur-
sprung verrathen. In diesem Bestreben gingen beson-
ders die Alexandriner und Späteren, z. B. die Erfin-
der Orphischer Kosmogonieen 3, sehr weit, welche letz-
tern ihn ganz als Symbol kosmischer Schöpfungskraft
brauchten.

10.

Wie wenig die alte Mythe den Herakles von
irgend einer Menschlichkeit entkleiden wollte, sieht
man aus manchen gemüthlichen, mitunter derben Zü-
gen seines Bildes. Herakles ist geladen oder ungela-
den ein jovialer Gast, und im Genusse nicht eben karg;
woran sich manche Fabel vom Stierfresser (Bouthoinas)
und Säufer Herakles, von Herakleischen Bechern und
Ruhebetten, anknüpfte. Aber der Grundgedanke liegt
schon in den alten und frühbearbeiteten Fabeln, von

1 Nach Paus. bei dem auch mehrere Dädalische xoana des
Her. vorkommen. Der göttliche Dienst zu Sikyon (2, 10, 1.) kann
indeß vielleicht dem Idäos Daktylos gelten, da diese Stadt in alter
Verbindung mit Phästos stand.
2 Pindar N. 1, 67. vgl. 7,
90. läßt Her. diesen Kampf mit den Göttern u. wohl kurz vor seiner
Vergötterung kämpfen. Zuerst kommt Her. Gigantophonos auf dem
Throne des Amykl. Ap. Paus. 3, 18, 7. und einigen recht alten
Vafengemälden vor.
3 Der jüngern nämlich, worüber Zoega
nachzusehen "über den uranfänglichen Gott der Orphiker."

ſchen oder Idaͤiſchen Gottes und des Helden von Theben
abgeleitet werden, da Herakles auch an ſolchen Orten goͤtt-
liche Ehre genießt (z. B. zu Meſſene u. Marathon) 1, wo
an eine ſolche Vermiſchung ſchwerlich zu denken. Son-
dern er iſt Gott als das Ziel menſchlicher Kraft dar-
ſtellend, wo ſie nach Griechiſchen Begriffen an die Gott-
heit anſtreift, als hoͤchſte Potenz des heroiſchen Weſens.
Sein Leben und Wirken hienieden aber iſt in den aͤltern
Mythen ganz menſchlich, da diejenigen Fabeln, die ihn
daruͤber hinausheben, wie z. B. alle ſich um die Gi-
gantomachie drehenden 2, durch ſich ſelbſt ſpaͤtern Ur-
ſprung verrathen. In dieſem Beſtreben gingen beſon-
ders die Alexandriner und Spaͤteren, z. B. die Erfin-
der Orphiſcher Kosmogonieen 3, ſehr weit, welche letz-
tern ihn ganz als Symbol kosmiſcher Schoͤpfungskraft
brauchten.

10.

Wie wenig die alte Mythe den Herakles von
irgend einer Menſchlichkeit entkleiden wollte, ſieht
man aus manchen gemuͤthlichen, mitunter derben Zuͤ-
gen ſeines Bildes. Herakles iſt geladen oder ungela-
den ein jovialer Gaſt, und im Genuſſe nicht eben karg;
woran ſich manche Fabel vom Stierfreſſer (Βουθοίνας)
und Saͤufer Herakles, von Herakleiſchen Bechern und
Ruhebetten, anknuͤpfte. Aber der Grundgedanke liegt
ſchon in den alten und fruͤhbearbeiteten Fabeln, von

1 Nach Pauſ. bei dem auch mehrere Daͤdaliſche ξόανα des
Her. vorkommen. Der goͤttliche Dienſt zu Sikyon (2, 10, 1.) kann
indeß vielleicht dem Idaͤos Daktylos gelten, da dieſe Stadt in alter
Verbindung mit Phaͤſtos ſtand.
2 Pindar N. 1, 67. vgl. 7,
90. laͤßt Her. dieſen Kampf mit den Goͤttern u. wohl kurz vor ſeiner
Vergoͤtterung kaͤmpfen. Zuerſt kommt Her. Γιγαντοφόνος auf dem
Throne des Amykl. Ap. Pauſ. 3, 18, 7. und einigen recht alten
Vafengemaͤlden vor.
3 Der juͤngern naͤmlich, woruͤber Zoëga
nachzuſehen “uͤber den uranfaͤnglichen Gott der Orphiker.”
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0486" n="456"/>
&#x017F;chen oder Ida&#x0364;i&#x017F;chen Gottes und des Helden von Theben<lb/>
abgeleitet werden, da Herakles auch an &#x017F;olchen Orten go&#x0364;tt-<lb/>
liche Ehre genießt (z. B. zu Me&#x017F;&#x017F;ene u. Marathon) <note place="foot" n="1">Nach Pau&#x017F;. bei dem auch mehrere Da&#x0364;dali&#x017F;che &#x03BE;&#x03CC;&#x03B1;&#x03BD;&#x03B1; des<lb/>
Her. vorkommen. Der go&#x0364;ttliche Dien&#x017F;t zu Sikyon (2, 10, 1.) kann<lb/>
indeß vielleicht dem Ida&#x0364;os Daktylos gelten, da die&#x017F;e Stadt in alter<lb/>
Verbindung mit Pha&#x0364;&#x017F;tos &#x017F;tand.</note>, wo<lb/>
an eine &#x017F;olche Vermi&#x017F;chung &#x017F;chwerlich zu denken. Son-<lb/>
dern er i&#x017F;t Gott als das Ziel men&#x017F;chlicher Kraft dar-<lb/>
&#x017F;tellend, wo &#x017F;ie nach Griechi&#x017F;chen Begriffen an die Gott-<lb/>
heit an&#x017F;treift, als ho&#x0364;ch&#x017F;te Potenz des heroi&#x017F;chen We&#x017F;ens.<lb/>
Sein Leben und Wirken hienieden aber i&#x017F;t in den a&#x0364;ltern<lb/>
Mythen ganz men&#x017F;chlich, da diejenigen Fabeln, die ihn<lb/>
daru&#x0364;ber hinausheben, wie z. B. alle &#x017F;ich um die Gi-<lb/>
gantomachie drehenden <note place="foot" n="2">Pindar N. 1, 67. vgl. 7,<lb/>
90. la&#x0364;ßt Her. die&#x017F;en Kampf mit den Go&#x0364;ttern u. wohl kurz vor &#x017F;einer<lb/>
Vergo&#x0364;tterung ka&#x0364;mpfen. Zuer&#x017F;t kommt Her. &#x0393;&#x03B9;&#x03B3;&#x03B1;&#x03BD;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C6;&#x03CC;&#x03BD;&#x03BF;&#x03C2; auf dem<lb/>
Throne des Amykl. Ap. Pau&#x017F;. 3, 18, 7. und einigen recht alten<lb/>
Vafengema&#x0364;lden vor.</note>, durch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;pa&#x0364;tern Ur-<lb/>
&#x017F;prung verrathen. In die&#x017F;em Be&#x017F;treben gingen be&#x017F;on-<lb/>
ders die Alexandriner und Spa&#x0364;teren, z. B. die Erfin-<lb/>
der Orphi&#x017F;cher Kosmogonieen <note place="foot" n="3">Der ju&#x0364;ngern na&#x0364;mlich, woru&#x0364;ber Zoëga<lb/>
nachzu&#x017F;ehen &#x201C;u&#x0364;ber den uranfa&#x0364;nglichen Gott der Orphiker.&#x201D;</note>, &#x017F;ehr weit, welche letz-<lb/>
tern ihn ganz als Symbol kosmi&#x017F;cher Scho&#x0364;pfungskraft<lb/>
brauchten.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>10.</head><lb/>
              <p>Wie wenig die alte Mythe den Herakles von<lb/>
irgend einer <hi rendition="#g">Men&#x017F;chlichkeit</hi> entkleiden wollte, &#x017F;ieht<lb/>
man aus manchen gemu&#x0364;thlichen, mitunter derben Zu&#x0364;-<lb/>
gen &#x017F;eines Bildes. Herakles i&#x017F;t geladen oder ungela-<lb/>
den ein jovialer Ga&#x017F;t, und im Genu&#x017F;&#x017F;e nicht eben karg;<lb/>
woran &#x017F;ich manche Fabel vom Stierfre&#x017F;&#x017F;er (&#x0392;&#x03BF;&#x03C5;&#x03B8;&#x03BF;&#x03AF;&#x03BD;&#x03B1;&#x03C2;)<lb/>
und Sa&#x0364;ufer Herakles, von Heraklei&#x017F;chen Bechern und<lb/>
Ruhebetten, anknu&#x0364;pfte. Aber der Grundgedanke liegt<lb/>
&#x017F;chon in den alten und fru&#x0364;hbearbeiteten Fabeln, von<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[456/0486] ſchen oder Idaͤiſchen Gottes und des Helden von Theben abgeleitet werden, da Herakles auch an ſolchen Orten goͤtt- liche Ehre genießt (z. B. zu Meſſene u. Marathon) 1, wo an eine ſolche Vermiſchung ſchwerlich zu denken. Son- dern er iſt Gott als das Ziel menſchlicher Kraft dar- ſtellend, wo ſie nach Griechiſchen Begriffen an die Gott- heit anſtreift, als hoͤchſte Potenz des heroiſchen Weſens. Sein Leben und Wirken hienieden aber iſt in den aͤltern Mythen ganz menſchlich, da diejenigen Fabeln, die ihn daruͤber hinausheben, wie z. B. alle ſich um die Gi- gantomachie drehenden 2, durch ſich ſelbſt ſpaͤtern Ur- ſprung verrathen. In dieſem Beſtreben gingen beſon- ders die Alexandriner und Spaͤteren, z. B. die Erfin- der Orphiſcher Kosmogonieen 3, ſehr weit, welche letz- tern ihn ganz als Symbol kosmiſcher Schoͤpfungskraft brauchten. 10. Wie wenig die alte Mythe den Herakles von irgend einer Menſchlichkeit entkleiden wollte, ſieht man aus manchen gemuͤthlichen, mitunter derben Zuͤ- gen ſeines Bildes. Herakles iſt geladen oder ungela- den ein jovialer Gaſt, und im Genuſſe nicht eben karg; woran ſich manche Fabel vom Stierfreſſer (Βουθοίνας) und Saͤufer Herakles, von Herakleiſchen Bechern und Ruhebetten, anknuͤpfte. Aber der Grundgedanke liegt ſchon in den alten und fruͤhbearbeiteten Fabeln, von 1 Nach Pauſ. bei dem auch mehrere Daͤdaliſche ξόανα des Her. vorkommen. Der goͤttliche Dienſt zu Sikyon (2, 10, 1.) kann indeß vielleicht dem Idaͤos Daktylos gelten, da dieſe Stadt in alter Verbindung mit Phaͤſtos ſtand. 2 Pindar N. 1, 67. vgl. 7, 90. laͤßt Her. dieſen Kampf mit den Goͤttern u. wohl kurz vor ſeiner Vergoͤtterung kaͤmpfen. Zuerſt kommt Her. Γιγαντοφόνος auf dem Throne des Amykl. Ap. Pauſ. 3, 18, 7. und einigen recht alten Vafengemaͤlden vor. 3 Der juͤngern naͤmlich, woruͤber Zoëga nachzuſehen “uͤber den uranfaͤnglichen Gott der Orphiker.”

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/486
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/486>, abgerufen am 03.12.2024.