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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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Theben. Wie dort alle acht Jahre der Python von
neuem getödtet und der Lorbeer von neuem gebrochen wur-
de; daher die alten Feste und Agonen ennaeterisch wa-
ren: so wurde auch hier in denselben Perioden eine
daphnephorische Procession angestellt, deren Beziehung
auf Zeitmessung am Tage liegt 1. Auch ist hier, wie
in Delphi, Athena die Pronaos 2. Die Heiligkeit
der Dreifüße ist beiden Tempeln gemein, wenn sie auch
in dem letztern nicht zum Weissagen gebraucht wurden.
Später begnügte man sich hier mit Deutungen aus der
Opferflamme und Opferasche 3; wie sie ebenfalls die
Purkooi von Delphi gaben 4: obgleich in früherer Zeit
auch hier die aus dem Gemüth stammende Weissagung
vorherrschte. So erscheint wenigstens Teiresias, den
wir als Propheten des Ismenions betrachten dürfen 5,
bei Homer und den Tragikern nicht als Empyro-
mantis.

Daß aber der gesammte Cultus des Apollon zu
Theben für diese Stadt unter die jüngern gehört, ist
daraus deutlich. In den alt-kadmeischen Mythen, in
welchen Demeter, Kora, Kadmos, dann Bakchos re-
gieren, ist Apollon nicht thätig. Denn einzelne Zusätze
der Poeten scheiden sich leicht als später aus. Als
eine dichterische Uebertragung ist es auch zu betrachten,
daß Kadmos nach der Tödtung des Drachen acht

1 Was Bd. 1. S. 220. steht, ist gebilligt und erweitert von
Böckh im Anhange zur Abhandlung über die Midiana. Adhandl.
der Berliner Akad. 1818. S. 39.
2 Paus. 9, 10. Ueber diese
vgl. Stanley zu Aesch. Eum. 21.
3 Herod. 8, 134. Soph.
Oed. T. 21. manteia spodo, Philochor. bei Schol. (S. 101. Sieb.)
4 Hesych purkooi. Auch in heiligem Feuer gebrannte Loose nach
demselben, phruktos Delphois kleros. Vgl. Böckh Explic. Pind.
O.
8, 2. und Plut. de frat. am. 21. Darauf gehen Phoibou eskha-
rai Eurip. Phön. 292.
5 Stein der Manto vor dem Tem-
pel. Paus. 9, 10. mantion thokos Pind. P. 11, 6.

Theben. Wie dort alle acht Jahre der Python von
neuem getoͤdtet und der Lorbeer von neuem gebrochen wur-
de; daher die alten Feſte und Agonen ennaëteriſch wa-
ren: ſo wurde auch hier in denſelben Perioden eine
daphnephoriſche Proceſſion angeſtellt, deren Beziehung
auf Zeitmeſſung am Tage liegt 1. Auch iſt hier, wie
in Delphi, Athena die Pronaos 2. Die Heiligkeit
der Dreifuͤße iſt beiden Tempeln gemein, wenn ſie auch
in dem letztern nicht zum Weiſſagen gebraucht wurden.
Spaͤter begnuͤgte man ſich hier mit Deutungen aus der
Opferflamme und Opferaſche 3; wie ſie ebenfalls die
Πυρκόοι von Delphi gaben 4: obgleich in fruͤherer Zeit
auch hier die aus dem Gemuͤth ſtammende Weiſſagung
vorherrſchte. So erſcheint wenigſtens Teireſias, den
wir als Propheten des Ismenions betrachten duͤrfen 5,
bei Homer und den Tragikern nicht als Empyro-
mantis.

Daß aber der geſammte Cultus des Apollon zu
Theben fuͤr dieſe Stadt unter die juͤngern gehoͤrt, iſt
daraus deutlich. In den alt-kadmeiſchen Mythen, in
welchen Demeter, Kora, Kadmos, dann Bakchos re-
gieren, iſt Apollon nicht thaͤtig. Denn einzelne Zuſaͤtze
der Poëten ſcheiden ſich leicht als ſpaͤter aus. Als
eine dichteriſche Uebertragung iſt es auch zu betrachten,
daß Kadmos nach der Toͤdtung des Drachen acht

1 Was Bd. 1. S. 220. ſteht, iſt gebilligt und erweitert von
Boͤckh im Anhange zur Abhandlung uͤber die Midiana. Adhandl.
der Berliner Akad. 1818. S. 39.
2 Pauſ. 9, 10. Ueber dieſe
vgl. Stanley zu Aeſch. Eum. 21.
3 Herod. 8, 134. Soph.
Oed. T. 21. μαντείᾳ σποδῷ, Philochor. bei Schol. (S. 101. Sieb.)
4 Heſych πυϱκόοι. Auch in heiligem Feuer gebrannte Looſe nach
demſelben, φϱυκτὸς Δελφοῖς κλῆϱος. Vgl. Boͤckh Explic. Pind.
O.
8, 2. und Plut. de frat. am. 21. Darauf gehen Φοίβου ἐσχά-
ϱαι Eurip. Phoͤn. 292.
5 Stein der Manto vor dem Tem-
pel. Pauſ. 9, 10. μαντίων ϑῶκος Pind. P. 11, 6.
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[235/0265] Theben. Wie dort alle acht Jahre der Python von neuem getoͤdtet und der Lorbeer von neuem gebrochen wur- de; daher die alten Feſte und Agonen ennaëteriſch wa- ren: ſo wurde auch hier in denſelben Perioden eine daphnephoriſche Proceſſion angeſtellt, deren Beziehung auf Zeitmeſſung am Tage liegt 1. Auch iſt hier, wie in Delphi, Athena die Pronaos 2. Die Heiligkeit der Dreifuͤße iſt beiden Tempeln gemein, wenn ſie auch in dem letztern nicht zum Weiſſagen gebraucht wurden. Spaͤter begnuͤgte man ſich hier mit Deutungen aus der Opferflamme und Opferaſche 3; wie ſie ebenfalls die Πυρκόοι von Delphi gaben 4: obgleich in fruͤherer Zeit auch hier die aus dem Gemuͤth ſtammende Weiſſagung vorherrſchte. So erſcheint wenigſtens Teireſias, den wir als Propheten des Ismenions betrachten duͤrfen 5, bei Homer und den Tragikern nicht als Empyro- mantis. Daß aber der geſammte Cultus des Apollon zu Theben fuͤr dieſe Stadt unter die juͤngern gehoͤrt, iſt daraus deutlich. In den alt-kadmeiſchen Mythen, in welchen Demeter, Kora, Kadmos, dann Bakchos re- gieren, iſt Apollon nicht thaͤtig. Denn einzelne Zuſaͤtze der Poëten ſcheiden ſich leicht als ſpaͤter aus. Als eine dichteriſche Uebertragung iſt es auch zu betrachten, daß Kadmos nach der Toͤdtung des Drachen acht 1 Was Bd. 1. S. 220. ſteht, iſt gebilligt und erweitert von Boͤckh im Anhange zur Abhandlung uͤber die Midiana. Adhandl. der Berliner Akad. 1818. S. 39. 2 Pauſ. 9, 10. Ueber dieſe vgl. Stanley zu Aeſch. Eum. 21. 3 Herod. 8, 134. Soph. Oed. T. 21. μαντείᾳ σποδῷ, Philochor. bei Schol. (S. 101. Sieb.) 4 Heſych πυϱκόοι. Auch in heiligem Feuer gebrannte Looſe nach demſelben, φϱυκτὸς Δελφοῖς κλῆϱος. Vgl. Boͤckh Explic. Pind. O. 8, 2. und Plut. de frat. am. 21. Darauf gehen Φοίβου ἐσχά- ϱαι Eurip. Phoͤn. 292. 5 Stein der Manto vor dem Tem- pel. Pauſ. 9, 10. μαντίων ϑῶκος Pind. P. 11, 6.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/265>, abgerufen am 24.11.2024.