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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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die Erregung des Lichtnerven. Dann auch wirkt die Ord-
nung und Gesetzmäßigkeit oder das Logische in den Gesichts-
objecten, worin das Logistische (Organ) sein Bedürfniß
erfüllt hat, ordnend und beschränkend für die Thätigkeit
des Logistikon und Phantastikon, welche im Dunkeln sich
selbst überlassen behaglich schwärmend von einem zum an-
dern überspringen.

29.

2. In dem in seiner Ruhe sich dunkel anschauenden
Sehorgan, auf welches alle äußere Sollicitation zur Licht-
erscheinung durch das Elementarische aufhört, wirken nun
auch die inneren organischen Reize um so mächtiger sym-
pathische Erregungen. Jede Störung des Blutumlaufs er-
scheint in dieser ruhenden aber durch ihre Ruhe höchst reiz-
baren Sehsinnsubstanz als Lichterscheinung. Die Strahlen,
die wallenden Nebel, die Lichtflecken, die Feuerkugeln, diese
sich metamorphosirenden Farbenfelder, wovon unsere dunkles
Sehfeld bei geschlossenen Augen nie ganz frei ist, sind nichts
anders als die Reflexe von Zuständen anderer Organe auf
ein Organ, das in jedem Zustand sich entweder licht, dun-
kel oder farbig empfindet.

30.

Diese beweglichen Meteore des dunkeln Sehfeldes sind
alle plötzlich verschwunden, wenn wir die Augen öffnen,
weil die äußeren Reize viel mächtiger sind. Aber in dem
lange geschlossenen ausruhenden Auge, das durch nichts mehr
als das Innere erregt wird, steigern sich diese inneren Me-
teore oft zu einer wunderbaren Lebhaftigkeit. Die Phanta-
sie, sich selbst überlassen, knüpft diese wallenden, ihre Gestalt
wechselnden Erscheinungen im dunkeln Sehfelde an das,
was sie sich durch äußere Nöthigung schon einmal hat ein-
bilden müssen, und es erscheinen der Phantasie diese an-

die Erregung des Lichtnerven. Dann auch wirkt die Ord-
nung und Geſetzmaͤßigkeit oder das Logiſche in den Geſichts-
objecten, worin das Logiſtiſche (Organ) ſein Beduͤrfniß
erfuͤllt hat, ordnend und beſchraͤnkend fuͤr die Thaͤtigkeit
des Logiſtikon und Phantaſtikon, welche im Dunkeln ſich
ſelbſt uͤberlaſſen behaglich ſchwaͤrmend von einem zum an-
dern uͤberſpringen.

29.

2. In dem in ſeiner Ruhe ſich dunkel anſchauenden
Sehorgan, auf welches alle aͤußere Sollicitation zur Licht-
erſcheinung durch das Elementariſche aufhoͤrt, wirken nun
auch die inneren organiſchen Reize um ſo maͤchtiger ſym-
pathiſche Erregungen. Jede Stoͤrung des Blutumlaufs er-
ſcheint in dieſer ruhenden aber durch ihre Ruhe hoͤchſt reiz-
baren Sehſinnſubſtanz als Lichterſcheinung. Die Strahlen,
die wallenden Nebel, die Lichtflecken, die Feuerkugeln, dieſe
ſich metamorphoſirenden Farbenfelder, wovon unſere dunkles
Sehfeld bei geſchloſſenen Augen nie ganz frei iſt, ſind nichts
anders als die Reflexe von Zuſtaͤnden anderer Organe auf
ein Organ, das in jedem Zuſtand ſich entweder licht, dun-
kel oder farbig empfindet.

30.

Dieſe beweglichen Meteore des dunkeln Sehfeldes ſind
alle ploͤtzlich verſchwunden, wenn wir die Augen oͤffnen,
weil die aͤußeren Reize viel maͤchtiger ſind. Aber in dem
lange geſchloſſenen ausruhenden Auge, das durch nichts mehr
als das Innere erregt wird, ſteigern ſich dieſe inneren Me-
teore oft zu einer wunderbaren Lebhaftigkeit. Die Phanta-
ſie, ſich ſelbſt uͤberlaſſen, knuͤpft dieſe wallenden, ihre Geſtalt
wechſelnden Erſcheinungen im dunkeln Sehfelde an das,
was ſie ſich durch aͤußere Noͤthigung ſchon einmal hat ein-
bilden muͤſſen, und es erſcheinen der Phantaſie dieſe an-

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[18/0034] die Erregung des Lichtnerven. Dann auch wirkt die Ord- nung und Geſetzmaͤßigkeit oder das Logiſche in den Geſichts- objecten, worin das Logiſtiſche (Organ) ſein Beduͤrfniß erfuͤllt hat, ordnend und beſchraͤnkend fuͤr die Thaͤtigkeit des Logiſtikon und Phantaſtikon, welche im Dunkeln ſich ſelbſt uͤberlaſſen behaglich ſchwaͤrmend von einem zum an- dern uͤberſpringen. 29. 2. In dem in ſeiner Ruhe ſich dunkel anſchauenden Sehorgan, auf welches alle aͤußere Sollicitation zur Licht- erſcheinung durch das Elementariſche aufhoͤrt, wirken nun auch die inneren organiſchen Reize um ſo maͤchtiger ſym- pathiſche Erregungen. Jede Stoͤrung des Blutumlaufs er- ſcheint in dieſer ruhenden aber durch ihre Ruhe hoͤchſt reiz- baren Sehſinnſubſtanz als Lichterſcheinung. Die Strahlen, die wallenden Nebel, die Lichtflecken, die Feuerkugeln, dieſe ſich metamorphoſirenden Farbenfelder, wovon unſere dunkles Sehfeld bei geſchloſſenen Augen nie ganz frei iſt, ſind nichts anders als die Reflexe von Zuſtaͤnden anderer Organe auf ein Organ, das in jedem Zuſtand ſich entweder licht, dun- kel oder farbig empfindet. 30. Dieſe beweglichen Meteore des dunkeln Sehfeldes ſind alle ploͤtzlich verſchwunden, wenn wir die Augen oͤffnen, weil die aͤußeren Reize viel maͤchtiger ſind. Aber in dem lange geſchloſſenen ausruhenden Auge, das durch nichts mehr als das Innere erregt wird, ſteigern ſich dieſe inneren Me- teore oft zu einer wunderbaren Lebhaftigkeit. Die Phanta- ſie, ſich ſelbſt uͤberlaſſen, knuͤpft dieſe wallenden, ihre Geſtalt wechſelnden Erſcheinungen im dunkeln Sehfelde an das, was ſie ſich durch aͤußere Noͤthigung ſchon einmal hat ein- bilden muͤſſen, und es erſcheinen der Phantaſie dieſe an-

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/34>, abgerufen am 28.03.2024.