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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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26.

Umgekehrt wenn das afficirte Auge seinen Affect den
Organen des Phantastischen und des Vorstellenden oder
andern Organen des Gehirns, deren Lebensform wir gei-
stig nennen, mittheilt, so kann die Wirkung auf das Phan-
tastische, Vorstellende, Denkende nur seyn Steigerung und
Belebung des Phantastischen, Vorstellenden, Denkenden.
Und hier sind wir denn auf dem theoretisch empirischen Wege
methodisch zu den Erscheinungen gelangt, deren Aufklärung
Gegenstand der gegenwärtigen Untersuchung ist.

27.

1. Im Dunkeln ist man nie besonders geist-
reich
. Auch der Geist theilt das Gefühl des Mangels.
Das hat gewiß Jeder schon an sich erprobt, und doch ist
diese Thatsache noch nicht zu allgemeiner Kenntniß gekom-
men und gewürdigt worden, wie sie es verdiente. Ja wir
sind gezwungen, den lichten Tag zu suchen, wenn wir in leb-
hafter Bewegung des Gemüthes oder leidenschaftlicher Be-
wegung der Gedanken über Etwas ins Klare kommen wol-
len. Sich seinen Phantasieen hinzugeben schließt der
Schwärmer die Augen, die tiefste Meditation liebt aber den
lichten Tag, wenn sie auch in das Tageslicht hinstarrend die
Objecte gar nicht wahrnimmt.

28.

Das Elementarische, was wir Licht nennen, wenn
es das Licht als Energie des Auges reizend aufruft,
wirkt in dem seine eigene Ruhe dunkel sehenden Auge den
lichten Tag. Der Lichtnerve im Zustand der Affection wirkt
als ein mächtiger Reiz auf die Organe des Gehirnes, deren
Lebensformen wir geistig nennen. Das äußere Licht,
welches nicht existirt, erhellt hier nicht unsere Vorstellun-
gen, sondern das Vorstellende ist lebhaft erregt durch

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26.

Umgekehrt wenn das afficirte Auge ſeinen Affect den
Organen des Phantaſtiſchen und des Vorſtellenden oder
andern Organen des Gehirns, deren Lebensform wir gei-
ſtig nennen, mittheilt, ſo kann die Wirkung auf das Phan-
taſtiſche, Vorſtellende, Denkende nur ſeyn Steigerung und
Belebung des Phantaſtiſchen, Vorſtellenden, Denkenden.
Und hier ſind wir denn auf dem theoretiſch empiriſchen Wege
methodiſch zu den Erſcheinungen gelangt, deren Aufklaͤrung
Gegenſtand der gegenwaͤrtigen Unterſuchung iſt.

27.

1. Im Dunkeln iſt man nie beſonders geiſt-
reich
. Auch der Geiſt theilt das Gefuͤhl des Mangels.
Das hat gewiß Jeder ſchon an ſich erprobt, und doch iſt
dieſe Thatſache noch nicht zu allgemeiner Kenntniß gekom-
men und gewuͤrdigt worden, wie ſie es verdiente. Ja wir
ſind gezwungen, den lichten Tag zu ſuchen, wenn wir in leb-
hafter Bewegung des Gemuͤthes oder leidenſchaftlicher Be-
wegung der Gedanken uͤber Etwas ins Klare kommen wol-
len. Sich ſeinen Phantaſieen hinzugeben ſchließt der
Schwaͤrmer die Augen, die tiefſte Meditation liebt aber den
lichten Tag, wenn ſie auch in das Tageslicht hinſtarrend die
Objecte gar nicht wahrnimmt.

28.

Das Elementariſche, was wir Licht nennen, wenn
es das Licht als Energie des Auges reizend aufruft,
wirkt in dem ſeine eigene Ruhe dunkel ſehenden Auge den
lichten Tag. Der Lichtnerve im Zuſtand der Affection wirkt
als ein maͤchtiger Reiz auf die Organe des Gehirnes, deren
Lebensformen wir geiſtig nennen. Das aͤußere Licht,
welches nicht exiſtirt, erhellt hier nicht unſere Vorſtellun-
gen, ſondern das Vorſtellende iſt lebhaft erregt durch

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[17/0033] 26. Umgekehrt wenn das afficirte Auge ſeinen Affect den Organen des Phantaſtiſchen und des Vorſtellenden oder andern Organen des Gehirns, deren Lebensform wir gei- ſtig nennen, mittheilt, ſo kann die Wirkung auf das Phan- taſtiſche, Vorſtellende, Denkende nur ſeyn Steigerung und Belebung des Phantaſtiſchen, Vorſtellenden, Denkenden. Und hier ſind wir denn auf dem theoretiſch empiriſchen Wege methodiſch zu den Erſcheinungen gelangt, deren Aufklaͤrung Gegenſtand der gegenwaͤrtigen Unterſuchung iſt. 27. 1. Im Dunkeln iſt man nie beſonders geiſt- reich. Auch der Geiſt theilt das Gefuͤhl des Mangels. Das hat gewiß Jeder ſchon an ſich erprobt, und doch iſt dieſe Thatſache noch nicht zu allgemeiner Kenntniß gekom- men und gewuͤrdigt worden, wie ſie es verdiente. Ja wir ſind gezwungen, den lichten Tag zu ſuchen, wenn wir in leb- hafter Bewegung des Gemuͤthes oder leidenſchaftlicher Be- wegung der Gedanken uͤber Etwas ins Klare kommen wol- len. Sich ſeinen Phantaſieen hinzugeben ſchließt der Schwaͤrmer die Augen, die tiefſte Meditation liebt aber den lichten Tag, wenn ſie auch in das Tageslicht hinſtarrend die Objecte gar nicht wahrnimmt. 28. Das Elementariſche, was wir Licht nennen, wenn es das Licht als Energie des Auges reizend aufruft, wirkt in dem ſeine eigene Ruhe dunkel ſehenden Auge den lichten Tag. Der Lichtnerve im Zuſtand der Affection wirkt als ein maͤchtiger Reiz auf die Organe des Gehirnes, deren Lebensformen wir geiſtig nennen. Das aͤußere Licht, welches nicht exiſtirt, erhellt hier nicht unſere Vorſtellun- gen, ſondern das Vorſtellende iſt lebhaft erregt durch 2

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/33>, abgerufen am 26.04.2024.