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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826.

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kens auf den Sinn entstehen, so zerfällt die Unter-
suchung nothwendig in drei Theile. Der erste enthält,
von der Physiologie der Sinne ausgehend, die Theo-
rie der phantastischen Sinneserscheinung im Allgemei-
nen und ist in seinem Fortgang durchaus nur in
dem engern Sinne physiologisch. Der zweite
Theil hat in der Lebensgeschichte der phantastischen
Gesichtserscheinungen den Umfang dieser Phaenomene
zu ermitteln. Hier war es zunächst Hauptzweck, das
Genetische in der Entwickelung und Ausbildung des
Phaenomens von seiner ersten, vielleicht jedem Men-
schen zugänglichen Form aus darzustellen. Die Einthei-
lung der verschiedenen Zustände ergiebt sich dann nicht
durch die Stärke und den Grad der Erscheinung, son-
dern durch die geselligen Verhältnisse zu anderen Gei-
steskräften. Darum begründet das Hellsehen unter
Umständen, wo es als ein bloßer Reichthum des
Sinnes und der Phantasie von dem Hellsehenden
betrachtet und die Objectivität der Erscheinung nicht
anerkannt wird, eine eigenthümliche Stufe, mögen
die Phantasiebilder selbst aus den verschiedensten inneren
Gründen, im Fieber, in nervösen Krankheiten oder
bei vollkommener Gesundheit gesehen werden. Da der

kens auf den Sinn entſtehen, ſo zerfaͤllt die Unter-
ſuchung nothwendig in drei Theile. Der erſte enthaͤlt,
von der Phyſiologie der Sinne ausgehend, die Theo-
rie der phantaſtiſchen Sinneserſcheinung im Allgemei-
nen und iſt in ſeinem Fortgang durchaus nur in
dem engern Sinne phyſiologiſch. Der zweite
Theil hat in der Lebensgeſchichte der phantaſtiſchen
Geſichtserſcheinungen den Umfang dieſer Phaenomene
zu ermitteln. Hier war es zunaͤchſt Hauptzweck, das
Genetiſche in der Entwickelung und Ausbildung des
Phaenomens von ſeiner erſten, vielleicht jedem Men-
ſchen zugaͤnglichen Form aus darzuſtellen. Die Einthei-
lung der verſchiedenen Zuſtaͤnde ergiebt ſich dann nicht
durch die Staͤrke und den Grad der Erſcheinung, ſon-
dern durch die geſelligen Verhaͤltniſſe zu anderen Gei-
ſteskraͤften. Darum begruͤndet das Hellſehen unter
Umſtaͤnden, wo es als ein bloßer Reichthum des
Sinnes und der Phantaſie von dem Hellſehenden
betrachtet und die Objectivitaͤt der Erſcheinung nicht
anerkannt wird, eine eigenthuͤmliche Stufe, moͤgen
die Phantaſiebilder ſelbſt aus den verſchiedenſten inneren
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[VI/0012] kens auf den Sinn entſtehen, ſo zerfaͤllt die Unter- ſuchung nothwendig in drei Theile. Der erſte enthaͤlt, von der Phyſiologie der Sinne ausgehend, die Theo- rie der phantaſtiſchen Sinneserſcheinung im Allgemei- nen und iſt in ſeinem Fortgang durchaus nur in dem engern Sinne phyſiologiſch. Der zweite Theil hat in der Lebensgeſchichte der phantaſtiſchen Geſichtserſcheinungen den Umfang dieſer Phaenomene zu ermitteln. Hier war es zunaͤchſt Hauptzweck, das Genetiſche in der Entwickelung und Ausbildung des Phaenomens von ſeiner erſten, vielleicht jedem Men- ſchen zugaͤnglichen Form aus darzuſtellen. Die Einthei- lung der verſchiedenen Zuſtaͤnde ergiebt ſich dann nicht durch die Staͤrke und den Grad der Erſcheinung, ſon- dern durch die geſelligen Verhaͤltniſſe zu anderen Gei- ſteskraͤften. Darum begruͤndet das Hellſehen unter Umſtaͤnden, wo es als ein bloßer Reichthum des Sinnes und der Phantaſie von dem Hellſehenden betrachtet und die Objectivitaͤt der Erſcheinung nicht anerkannt wird, eine eigenthuͤmliche Stufe, moͤgen die Phantaſiebilder ſelbſt aus den verſchiedenſten inneren Gruͤnden, im Fieber, in nervoͤſen Krankheiten oder bei vollkommener Geſundheit geſehen werden. Da der

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Zitationshilfe: Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/12>, abgerufen am 28.03.2024.