Wie nun der aufmerksame Forscher der Natur durch alle Erscheinungen, die sich ihm darbiethen, auf einen Doppel- gesichtspunct geleitet wird, und ihm, wenn er sein Urtheil frey und unbefangen erhält, bald eine allgemeine Wechsel- wirkung, ein unendliches gegenseitiges Sichbedingen des Ver- zehrens und des Erzeugens, des Lebens und des Todes ein- leuchten muß; wie er allenthalben im Tode die höchsten und lebhaftesten Vorbereitungen neuen Lebens wahrnehmen, und wie sich gerade in den blühendsten üppigsten Lebenser- scheinungen ihm die unmittelbare Nachbarschaft des Todes aufdringen muß -- so wird der Oekonom in ähnlicher Unter- suchung auf dieselbe Wechselwirkung auch der ökonomischen Kräfte geleitet werden, und er wird die beyden entgegen- gesetzten Offenbarungen derselben Erscheinung zuförderst mit Ruhe erwägen lernen, da sie beyde sich mit gleicher Noth- wendigkeit bedingen. Er wird einsehen, daß, da das Ver- zehren und Erzeugen in einer Wechselabhängigkeit stehe, und sich wie Avers und Revers derselben Münze verhalte, das Resultat der Oekonomie durchaus nicht durch ein bloßes Vermeiden und Beschränken des Verzehrens zu fördern; eben so, daß ein bloßes Antreiben und Ermuntern und Befördern des Erzeugens gleichfalls unzulänglich sey.
Nun aber sind die beyden Hauptoperationen aller bisherigen Systeme der Oekonomie: Verminderung der Consumtion (Spar- samkeit) und Vermehrung der Produktion (Industrie) es zeigt sich also auch hier, daß man nur mit Zahlbegriffen, mit Summen, mit Massen, mit dem Mehr und Weniger zu handthieren gewußt, dagegen die Qualitäten und Verhältnisse
Wie nun der aufmerkſame Forſcher der Natur durch alle Erſcheinungen, die ſich ihm darbiethen, auf einen Doppel- geſichtspunct geleitet wird, und ihm, wenn er ſein Urtheil frey und unbefangen erhaͤlt, bald eine allgemeine Wechſel- wirkung, ein unendliches gegenſeitiges Sichbedingen des Ver- zehrens und des Erzeugens, des Lebens und des Todes ein- leuchten muß; wie er allenthalben im Tode die hoͤchſten und lebhafteſten Vorbereitungen neuen Lebens wahrnehmen, und wie ſich gerade in den bluͤhendſten uͤppigſten Lebenser- ſcheinungen ihm die unmittelbare Nachbarſchaft des Todes aufdringen muß — ſo wird der Oekonom in aͤhnlicher Unter- ſuchung auf dieſelbe Wechſelwirkung auch der oͤkonomiſchen Kraͤfte geleitet werden, und er wird die beyden entgegen- geſetzten Offenbarungen derſelben Erſcheinung zufoͤrderſt mit Ruhe erwaͤgen lernen, da ſie beyde ſich mit gleicher Noth- wendigkeit bedingen. Er wird einſehen, daß, da das Ver- zehren und Erzeugen in einer Wechſelabhaͤngigkeit ſtehe, und ſich wie Avers und Revers derſelben Muͤnze verhalte, das Reſultat der Oekonomie durchaus nicht durch ein bloßes Vermeiden und Beſchraͤnken des Verzehrens zu foͤrdern; eben ſo, daß ein bloßes Antreiben und Ermuntern und Befoͤrdern des Erzeugens gleichfalls unzulaͤnglich ſey.
Nun aber ſind die beyden Hauptoperationen aller bisherigen Syſteme der Oekonomie: Verminderung der Conſumtion (Spar- ſamkeit) und Vermehrung der Produktion (Induſtrie) es zeigt ſich alſo auch hier, daß man nur mit Zahlbegriffen, mit Summen, mit Maſſen, mit dem Mehr und Weniger zu handthieren gewußt, dagegen die Qualitaͤten und Verhaͤltniſſe
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Wie nun der aufmerkſame Forſcher der Natur durch alle
Erſcheinungen, die ſich ihm darbiethen, auf einen Doppel-
geſichtspunct geleitet wird, und ihm, wenn er ſein Urtheil
frey und unbefangen erhaͤlt, bald eine allgemeine Wechſel-
wirkung, ein unendliches gegenſeitiges Sichbedingen des Ver-
zehrens und des Erzeugens, des Lebens und des Todes ein-
leuchten muß; wie er allenthalben im Tode die hoͤchſten und
lebhafteſten Vorbereitungen neuen Lebens wahrnehmen,
und wie ſich gerade in den bluͤhendſten uͤppigſten Lebenser-
ſcheinungen ihm die unmittelbare Nachbarſchaft des Todes
aufdringen muß — ſo wird der Oekonom in aͤhnlicher Unter-
ſuchung auf dieſelbe Wechſelwirkung auch der oͤkonomiſchen
Kraͤfte geleitet werden, und er wird die beyden entgegen-
geſetzten Offenbarungen derſelben Erſcheinung zufoͤrderſt mit
Ruhe erwaͤgen lernen, da ſie beyde ſich mit gleicher Noth-
wendigkeit bedingen. Er wird einſehen, daß, da das Ver-
zehren und Erzeugen in einer Wechſelabhaͤngigkeit ſtehe, und
ſich wie Avers und Revers derſelben Muͤnze verhalte, das
Reſultat der Oekonomie durchaus nicht durch ein bloßes
Vermeiden und Beſchraͤnken des Verzehrens zu foͤrdern; eben
ſo, daß ein bloßes Antreiben und Ermuntern und Befoͤrdern
des Erzeugens gleichfalls unzulaͤnglich ſey.
Nun aber ſind die beyden Hauptoperationen aller bisherigen
Syſteme der Oekonomie: Verminderung der Conſumtion (Spar-
ſamkeit) und Vermehrung der Produktion (Induſtrie)
es zeigt ſich alſo auch hier, daß man nur mit Zahlbegriffen,
mit Summen, mit Maſſen, mit dem Mehr und Weniger zu
handthieren gewußt, dagegen die Qualitaͤten und Verhaͤltniſſe
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Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816. , S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/90>, abgerufen am 25.11.2024.
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