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Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816.

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Trankes, er bedarf seines Gleichen, er bedarf der Personen
entgegengesetzten Geschlechts, er bedarf des Staates, ja er be-
darf des Staatenvereines in einem weltumfassenden Glauben
d. h. der Kirche.

Kurz, er bedarf Homogenes und Heterogenes. Wollte er
die ganze Welt als Homogenes sich aneignen, verspeisen, sich
als Privateigenthum unterwerfen, so wäre dieß freylich, falls
es gelingen könnte, ein Weg der Vervollständigung: die Fülle
des Raums würde er sich aneignen, aber die Zeit, welche er
versäumt hätte, würde sich an ihn rächen; das eben so leb-
hafte Verlangen nach Dauer und Ewigkeit bliebe nicht bloß
unbefriedigt: je mehr er sich durch die Eroberung des Raumes
an Umfang erweiterte, je mehr (wenn ich mich so ausdrücken
darf) Vergänglichkeiten er sich aneignete, in so viel Bildern
mehr sähe er den Untergang der einzelnen Dinge vor Augen,
um so mehr hätte er sein Daseyn verkürzt. Anstatt sich an ein
dauerhafteres Ganze anzuschließen, und seine Vergänglichkeit
durch die Ewigkeit dieses Ganzen aufzuheben, hätte er es un-
ternommen, die Bestandtheile dieses Ganzen in die Sphäre
seiner Vergänglichkeit hinüberzureißen.

Um die Welt zu erobern, muß er sie vereinzeln, in ihre
Bestandtheile zerlegen; er muß sie theilen, um sie zu besitzen
(divide et impera); er muß ihre Ganzheit aufheben, um
sie ausschließend zu beherrschen; sie gewährt ihm also auf die-
sem Wege gerade das nicht, was er verlangt und bedarf.

Nichts destoweniger kann dieses Bedürfniß der Fülle, und
dieser Drang nach der Ewigkeit befriedigt werden; es gibt
nur einen Weg dazu, der zugleich der allernatürlichste

Trankes, er bedarf ſeines Gleichen, er bedarf der Perſonen
entgegengeſetzten Geſchlechts, er bedarf des Staates, ja er be-
darf des Staatenvereines in einem weltumfaſſenden Glauben
d. h. der Kirche.

Kurz, er bedarf Homogenes und Heterogenes. Wollte er
die ganze Welt als Homogenes ſich aneignen, verſpeiſen, ſich
als Privateigenthum unterwerfen, ſo waͤre dieß freylich, falls
es gelingen koͤnnte, ein Weg der Vervollſtaͤndigung: die Fuͤlle
des Raums wuͤrde er ſich aneignen, aber die Zeit, welche er
verſaͤumt haͤtte, wuͤrde ſich an ihn raͤchen; das eben ſo leb-
hafte Verlangen nach Dauer und Ewigkeit bliebe nicht bloß
unbefriedigt: je mehr er ſich durch die Eroberung des Raumes
an Umfang erweiterte, je mehr (wenn ich mich ſo ausdruͤcken
darf) Vergaͤnglichkeiten er ſich aneignete, in ſo viel Bildern
mehr ſaͤhe er den Untergang der einzelnen Dinge vor Augen,
um ſo mehr haͤtte er ſein Daſeyn verkuͤrzt. Anſtatt ſich an ein
dauerhafteres Ganze anzuſchließen, und ſeine Vergaͤnglichkeit
durch die Ewigkeit dieſes Ganzen aufzuheben, haͤtte er es un-
ternommen, die Beſtandtheile dieſes Ganzen in die Sphaͤre
ſeiner Vergaͤnglichkeit hinuͤberzureißen.

Um die Welt zu erobern, muß er ſie vereinzeln, in ihre
Beſtandtheile zerlegen; er muß ſie theilen, um ſie zu beſitzen
(divide et impera); er muß ihre Ganzheit aufheben, um
ſie ausſchließend zu beherrſchen; ſie gewaͤhrt ihm alſo auf die-
ſem Wege gerade das nicht, was er verlangt und bedarf.

Nichts deſtoweniger kann dieſes Beduͤrfniß der Fuͤlle, und
dieſer Drang nach der Ewigkeit befriedigt werden; es gibt
nur einen Weg dazu, der zugleich der allernatuͤrlichſte

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[106/0120] Trankes, er bedarf ſeines Gleichen, er bedarf der Perſonen entgegengeſetzten Geſchlechts, er bedarf des Staates, ja er be- darf des Staatenvereines in einem weltumfaſſenden Glauben d. h. der Kirche. Kurz, er bedarf Homogenes und Heterogenes. Wollte er die ganze Welt als Homogenes ſich aneignen, verſpeiſen, ſich als Privateigenthum unterwerfen, ſo waͤre dieß freylich, falls es gelingen koͤnnte, ein Weg der Vervollſtaͤndigung: die Fuͤlle des Raums wuͤrde er ſich aneignen, aber die Zeit, welche er verſaͤumt haͤtte, wuͤrde ſich an ihn raͤchen; das eben ſo leb- hafte Verlangen nach Dauer und Ewigkeit bliebe nicht bloß unbefriedigt: je mehr er ſich durch die Eroberung des Raumes an Umfang erweiterte, je mehr (wenn ich mich ſo ausdruͤcken darf) Vergaͤnglichkeiten er ſich aneignete, in ſo viel Bildern mehr ſaͤhe er den Untergang der einzelnen Dinge vor Augen, um ſo mehr haͤtte er ſein Daſeyn verkuͤrzt. Anſtatt ſich an ein dauerhafteres Ganze anzuſchließen, und ſeine Vergaͤnglichkeit durch die Ewigkeit dieſes Ganzen aufzuheben, haͤtte er es un- ternommen, die Beſtandtheile dieſes Ganzen in die Sphaͤre ſeiner Vergaͤnglichkeit hinuͤberzureißen. Um die Welt zu erobern, muß er ſie vereinzeln, in ihre Beſtandtheile zerlegen; er muß ſie theilen, um ſie zu beſitzen (divide et impera); er muß ihre Ganzheit aufheben, um ſie ausſchließend zu beherrſchen; ſie gewaͤhrt ihm alſo auf die- ſem Wege gerade das nicht, was er verlangt und bedarf. Nichts deſtoweniger kann dieſes Beduͤrfniß der Fuͤlle, und dieſer Drang nach der Ewigkeit befriedigt werden; es gibt nur einen Weg dazu, der zugleich der allernatuͤrlichſte

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816. , S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/120>, abgerufen am 24.11.2024.