Das, was wir in unserer bisherigen Darstellung Consumtion genannt haben, und was zur Produktion in demselben Ver- hältniß steht, wie der Tod zu Geburt, erscheint, wenn wir von der Produktion absehn, als Lebensgenuß; und in wiefern wir uns die Consumtion als den Antreiber aller Produktion denken, so nennen wir sie Bedürfniß. Wenn aber die Pro- duktion vom Bedürfniß regiert wird -- befruchtet wird, möchte ich sagen--und sie auch nichts anderes erzeugen soll, als etwas bestimmt Verlangtes, Begehrtes, ein Bedürfniß, im objec- tiven Sinne des Wortes, so versteht es sich wohl von selbst, daß es der Staatswirth nie und nirgends mit der Produktion an sich zu thun haben kann, sondern immer nur mit dem Verhältniß der Produktion zum Bedürfniß oder mit der Pro- duktion inwiefern diese durch das Bedürfniß eine bestimmte Richtung erhalten hat.
Alle einzelnen Bedürfnisse lassen sich, wie ich schon oben gezeigt, auf ein einziges Hauptbedürfniß reduciren: der Mensch will sich vervollständigen, verewigen; er will sich über die ei- gene Gebrechlichkeit, Unvollständigkeit, Vergänglichkeit zur Gesundheit, Fülle und Dauerhaftigkeit des ganzen Geschlechtes erheben, in welchem er lebt, sich selbst erkannt hat, seiner selbst bewußt worden ist; darum bedarf er der Speise und des
Neuntes Kapitel. Vom Beduͤrfniß.
Das, was wir in unſerer bisherigen Darſtellung Conſumtion genannt haben, und was zur Produktion in demſelben Ver- haͤltniß ſteht, wie der Tod zu Geburt, erſcheint, wenn wir von der Produktion abſehn, als Lebensgenuß; und in wiefern wir uns die Conſumtion als den Antreiber aller Produktion denken, ſo nennen wir ſie Beduͤrfniß. Wenn aber die Pro- duktion vom Beduͤrfniß regiert wird — befruchtet wird, moͤchte ich ſagen—und ſie auch nichts anderes erzeugen ſoll, als etwas beſtimmt Verlangtes, Begehrtes, ein Beduͤrfniß, im objec- tiven Sinne des Wortes, ſo verſteht es ſich wohl von ſelbſt, daß es der Staatswirth nie und nirgends mit der Produktion an ſich zu thun haben kann, ſondern immer nur mit dem Verhaͤltniß der Produktion zum Beduͤrfniß oder mit der Pro- duktion inwiefern dieſe durch das Beduͤrfniß eine beſtimmte Richtung erhalten hat.
Alle einzelnen Beduͤrfniſſe laſſen ſich, wie ich ſchon oben gezeigt, auf ein einziges Hauptbeduͤrfniß reduciren: der Menſch will ſich vervollſtaͤndigen, verewigen; er will ſich uͤber die ei- gene Gebrechlichkeit, Unvollſtaͤndigkeit, Vergaͤnglichkeit zur Geſundheit, Fuͤlle und Dauerhaftigkeit des ganzen Geſchlechtes erheben, in welchem er lebt, ſich ſelbſt erkannt hat, ſeiner ſelbſt bewußt worden iſt; darum bedarf er der Speiſe und des
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Neuntes Kapitel.
Vom Beduͤrfniß.
Das, was wir in unſerer bisherigen Darſtellung Conſumtion
genannt haben, und was zur Produktion in demſelben Ver-
haͤltniß ſteht, wie der Tod zu Geburt, erſcheint, wenn wir
von der Produktion abſehn, als Lebensgenuß; und in wiefern
wir uns die Conſumtion als den Antreiber aller Produktion
denken, ſo nennen wir ſie Beduͤrfniß. Wenn aber die Pro-
duktion vom Beduͤrfniß regiert wird — befruchtet wird, moͤchte
ich ſagen—und ſie auch nichts anderes erzeugen ſoll, als etwas
beſtimmt Verlangtes, Begehrtes, ein Beduͤrfniß, im objec-
tiven Sinne des Wortes, ſo verſteht es ſich wohl von ſelbſt,
daß es der Staatswirth nie und nirgends mit der Produktion
an ſich zu thun haben kann, ſondern immer nur mit dem
Verhaͤltniß der Produktion zum Beduͤrfniß oder mit der Pro-
duktion inwiefern dieſe durch das Beduͤrfniß eine beſtimmte
Richtung erhalten hat.
Alle einzelnen Beduͤrfniſſe laſſen ſich, wie ich ſchon oben
gezeigt, auf ein einziges Hauptbeduͤrfniß reduciren: der Menſch
will ſich vervollſtaͤndigen, verewigen; er will ſich uͤber die ei-
gene Gebrechlichkeit, Unvollſtaͤndigkeit, Vergaͤnglichkeit zur
Geſundheit, Fuͤlle und Dauerhaftigkeit des ganzen Geſchlechtes
erheben, in welchem er lebt, ſich ſelbſt erkannt hat, ſeiner
ſelbſt bewußt worden iſt; darum bedarf er der Speiſe und des
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Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816. , S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/119>, abgerufen am 16.02.2025.
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