Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

Nationalglaube, ein Nationalcredit, das heißt: ein realer
Staat, hervorgehen kann, und die das Alterthum bis auf
Rom hinab nicht gekannt, weßhalb es sich dann, statt des
Nationalglaubens, mit dem Wahne des Privateigenthums,
allerhand irrdischer Ueberschüsse, "heitern Lebensgenusses"
und der "Sehnsucht nach bessern Tagen", hat begnügen
müssen -- sind erst aus der Idee der Menschheit als einer
großen Familie, aus der Idee ihres Wohnplatzes, als eines
großen Vaterhauses hergefloßen.

So lange jedes einzelne Volk noch seinen besondern Gü-
tern und Göttern nachging, war es wohl vergeblich, sie un-
ter einander verbinden zu wollen: wo wir im Alterthum ein-
zelne kleine Völkerschaften und Stämme unter einander im
Bunde finden, da zeigen sich reinere Nationalvorstellungen
von den göttlichen Dingen, als die einzigen Gewährleisterin-
nen solchen Bundes; auch würden wir demjenigen alles histo-
rische Urtheil unbedingt absprechen, der die Vergänglichkeit
solcher Bündnisse aus irgend einer gemeineren Ursache hin-
leiten wollte, als aus der Beschränktheit und Unzulänglichkeit
der religiösen Vorstellungen, welche den Bund verbürgten.
Vor allen Dingen zerfielen sie, weil das den Bund beschir-
mende Göttliche, wie ein ausschließendes und absolutes
Privateigenthum einer solchen Gemeinschaft angesehen wurde.

Die christliche Religion zerstörte diesen verderblichsten
Wahn von einem ausschließenden Privateigenthume des höch-
sten Gutes, und so mußten alle geringeren Güter der Erde
die Wohlthat dieser Befreyung theilen. Sie zerstörte den
Wahn des Privateigenthums, aber nicht etwa Eigenthum

Nationalglaube, ein Nationalcredit, das heißt: ein realer
Staat, hervorgehen kann, und die das Alterthum bis auf
Rom hinab nicht gekannt, weßhalb es ſich dann, ſtatt des
Nationalglaubens, mit dem Wahne des Privateigenthums,
allerhand irrdiſcher Ueberſchuͤſſe, „heitern Lebensgenuſſes”
und der „Sehnſucht nach beſſern Tagen”, hat begnuͤgen
muͤſſen — ſind erſt aus der Idee der Menſchheit als einer
großen Familie, aus der Idee ihres Wohnplatzes, als eines
großen Vaterhauſes hergefloßen.

So lange jedes einzelne Volk noch ſeinen beſondern Guͤ-
tern und Goͤttern nachging, war es wohl vergeblich, ſie un-
ter einander verbinden zu wollen: wo wir im Alterthum ein-
zelne kleine Voͤlkerſchaften und Staͤmme unter einander im
Bunde finden, da zeigen ſich reinere Nationalvorſtellungen
von den goͤttlichen Dingen, als die einzigen Gewaͤhrleiſterin-
nen ſolchen Bundes; auch wuͤrden wir demjenigen alles hiſto-
riſche Urtheil unbedingt abſprechen, der die Vergaͤnglichkeit
ſolcher Buͤndniſſe aus irgend einer gemeineren Urſache hin-
leiten wollte, als aus der Beſchraͤnktheit und Unzulaͤnglichkeit
der religioͤſen Vorſtellungen, welche den Bund verbuͤrgten.
Vor allen Dingen zerfielen ſie, weil das den Bund beſchir-
mende Goͤttliche, wie ein ausſchließendes und abſolutes
Privateigenthum einer ſolchen Gemeinſchaft angeſehen wurde.

Die chriſtliche Religion zerſtoͤrte dieſen verderblichſten
Wahn von einem ausſchließenden Privateigenthume des hoͤch-
ſten Gutes, und ſo mußten alle geringeren Guͤter der Erde
die Wohlthat dieſer Befreyung theilen. Sie zerſtoͤrte den
Wahn des Privateigenthums, aber nicht etwa Eigenthum

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0105" n="91"/>
Nationalglaube, ein Nationalcredit, das heißt: ein realer<lb/>
Staat, hervorgehen kann, und die das Alterthum bis auf<lb/>
Rom hinab nicht gekannt, weßhalb es &#x017F;ich dann, &#x017F;tatt des<lb/>
Nationalglaubens, mit dem Wahne des Privateigenthums,<lb/>
allerhand irrdi&#x017F;cher Ueber&#x017F;chu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, &#x201E;heitern Lebensgenu&#x017F;&#x017F;es&#x201D;<lb/>
und der &#x201E;Sehn&#x017F;ucht nach be&#x017F;&#x017F;ern Tagen&#x201D;, hat begnu&#x0364;gen<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x2014; &#x017F;ind er&#x017F;t aus der Idee der Men&#x017F;chheit als einer<lb/>
großen Familie, aus der Idee ihres Wohnplatzes, als eines<lb/>
großen Vaterhau&#x017F;es hergefloßen.</p><lb/>
          <p>So lange jedes einzelne Volk noch &#x017F;einen be&#x017F;ondern Gu&#x0364;-<lb/>
tern und Go&#x0364;ttern nachging, war es wohl vergeblich, &#x017F;ie un-<lb/>
ter einander verbinden zu wollen: wo wir im Alterthum ein-<lb/>
zelne kleine Vo&#x0364;lker&#x017F;chaften und Sta&#x0364;mme unter einander im<lb/>
Bunde finden, da zeigen &#x017F;ich reinere Nationalvor&#x017F;tellungen<lb/>
von den go&#x0364;ttlichen Dingen, als die einzigen Gewa&#x0364;hrlei&#x017F;terin-<lb/>
nen &#x017F;olchen Bundes; auch wu&#x0364;rden wir demjenigen alles hi&#x017F;to-<lb/>
ri&#x017F;che Urtheil unbedingt ab&#x017F;prechen, der die Verga&#x0364;nglichkeit<lb/>
&#x017F;olcher Bu&#x0364;ndni&#x017F;&#x017F;e aus irgend einer gemeineren Ur&#x017F;ache hin-<lb/>
leiten wollte, als aus der Be&#x017F;chra&#x0364;nktheit und Unzula&#x0364;nglichkeit<lb/>
der religio&#x0364;&#x017F;en Vor&#x017F;tellungen, welche den Bund verbu&#x0364;rgten.<lb/>
Vor allen Dingen zerfielen &#x017F;ie, weil das den Bund be&#x017F;chir-<lb/>
mende Go&#x0364;ttliche, wie ein aus&#x017F;chließendes und ab&#x017F;olutes<lb/>
Privateigenthum einer &#x017F;olchen Gemein&#x017F;chaft ange&#x017F;ehen wurde.</p><lb/>
          <p>Die chri&#x017F;tliche Religion zer&#x017F;to&#x0364;rte die&#x017F;en verderblich&#x017F;ten<lb/>
Wahn von einem aus&#x017F;chließenden Privateigenthume des ho&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;ten Gutes, und &#x017F;o mußten alle geringeren Gu&#x0364;ter der Erde<lb/>
die Wohlthat die&#x017F;er Befreyung theilen. Sie zer&#x017F;to&#x0364;rte den<lb/>
Wahn des Privateigenthums, aber nicht etwa Eigenthum<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0105] Nationalglaube, ein Nationalcredit, das heißt: ein realer Staat, hervorgehen kann, und die das Alterthum bis auf Rom hinab nicht gekannt, weßhalb es ſich dann, ſtatt des Nationalglaubens, mit dem Wahne des Privateigenthums, allerhand irrdiſcher Ueberſchuͤſſe, „heitern Lebensgenuſſes” und der „Sehnſucht nach beſſern Tagen”, hat begnuͤgen muͤſſen — ſind erſt aus der Idee der Menſchheit als einer großen Familie, aus der Idee ihres Wohnplatzes, als eines großen Vaterhauſes hergefloßen. So lange jedes einzelne Volk noch ſeinen beſondern Guͤ- tern und Goͤttern nachging, war es wohl vergeblich, ſie un- ter einander verbinden zu wollen: wo wir im Alterthum ein- zelne kleine Voͤlkerſchaften und Staͤmme unter einander im Bunde finden, da zeigen ſich reinere Nationalvorſtellungen von den goͤttlichen Dingen, als die einzigen Gewaͤhrleiſterin- nen ſolchen Bundes; auch wuͤrden wir demjenigen alles hiſto- riſche Urtheil unbedingt abſprechen, der die Vergaͤnglichkeit ſolcher Buͤndniſſe aus irgend einer gemeineren Urſache hin- leiten wollte, als aus der Beſchraͤnktheit und Unzulaͤnglichkeit der religioͤſen Vorſtellungen, welche den Bund verbuͤrgten. Vor allen Dingen zerfielen ſie, weil das den Bund beſchir- mende Goͤttliche, wie ein ausſchließendes und abſolutes Privateigenthum einer ſolchen Gemeinſchaft angeſehen wurde. Die chriſtliche Religion zerſtoͤrte dieſen verderblichſten Wahn von einem ausſchließenden Privateigenthume des hoͤch- ſten Gutes, und ſo mußten alle geringeren Guͤter der Erde die Wohlthat dieſer Befreyung theilen. Sie zerſtoͤrte den Wahn des Privateigenthums, aber nicht etwa Eigenthum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/105
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816. , S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/105>, abgerufen am 05.05.2024.