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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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kannt, den von aller Welt Verkannten! sprach er zu sich selbst. Auch dich hat die barocke Form seiner äußern Schale bewogen, den edeln Kern seines Wesens unerbrochen wegzuwerfen! Wie hat er sich bemühet, von dir verstanden zu werden! Wie hat er nach deiner Theilnahme an den Geheimnissen seines Lebens gerungen! Aber nicht einmal seine väterliche Liebe für dich hast du dankbar empfunden, und alle seine Wohlthaten liegen nun auf dir wie unbezahlbare Schulden und brennen als feurige Kohlen in deinem Herzen fort.

Nachdem er sich lange mit solchen Vorwürfen gequält hatte, führten seine Gedanken ihn allmählich von der Vergangenheit in die Zukunft über und spiegelten ihm neue Aussichten und Pläne des Lebens vor. Der Marquis, welcher nach seiner Auswanderung den Rest seines Vermögens in eine Familienleibrente umgesetzt halte, war außer Stande gewesen, seinem jungen Freunde eine Erbschaft zu hinterlassen; aber wie er in Allem, was er anfing, mit fast übertriebener Vorsicht auf jeden möglichen Fall bedacht war, so hatte er auch bei seiner Abreise von Berlin seinen bedeutenden jährlichen Wechsel auf Arthur's Namen übergeschrieben. Dadurch war nicht allein die Rückreise desselben gesichert, sondern er hatte sogar hinreichende Mittel in Händen, um seinen Aufenthalt in Italien verlängern zu können. Dieses nahm er sich auch vor: er wollte nach der Osterwoche Neapel besuchen, dann die heißen

kannt, den von aller Welt Verkannten! sprach er zu sich selbst. Auch dich hat die barocke Form seiner äußern Schale bewogen, den edeln Kern seines Wesens unerbrochen wegzuwerfen! Wie hat er sich bemühet, von dir verstanden zu werden! Wie hat er nach deiner Theilnahme an den Geheimnissen seines Lebens gerungen! Aber nicht einmal seine väterliche Liebe für dich hast du dankbar empfunden, und alle seine Wohlthaten liegen nun auf dir wie unbezahlbare Schulden und brennen als feurige Kohlen in deinem Herzen fort.

Nachdem er sich lange mit solchen Vorwürfen gequält hatte, führten seine Gedanken ihn allmählich von der Vergangenheit in die Zukunft über und spiegelten ihm neue Aussichten und Pläne des Lebens vor. Der Marquis, welcher nach seiner Auswanderung den Rest seines Vermögens in eine Familienleibrente umgesetzt halte, war außer Stande gewesen, seinem jungen Freunde eine Erbschaft zu hinterlassen; aber wie er in Allem, was er anfing, mit fast übertriebener Vorsicht auf jeden möglichen Fall bedacht war, so hatte er auch bei seiner Abreise von Berlin seinen bedeutenden jährlichen Wechsel auf Arthur's Namen übergeschrieben. Dadurch war nicht allein die Rückreise desselben gesichert, sondern er hatte sogar hinreichende Mittel in Händen, um seinen Aufenthalt in Italien verlängern zu können. Dieses nahm er sich auch vor: er wollte nach der Osterwoche Neapel besuchen, dann die heißen

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/96>, abgerufen am 24.11.2024.