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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Inhalts einigermaßen wiederzugeben versucht haben. Arthur hatte zwar einen zu gebildeten Geschmack, um sich an der Poesie eines solchen Machwerks ergötzen zu können, aber dennoch verfehlte es nicht ganz einen Eindruck auf sein schon befangenes Gemüth zu hinterlassen. Seine aufgeregte Einbildungskraft malte die Scenen und Figuren, welche in der unbeholfenen Schilderung des Volksdichters als Caricaturen erschienen, mit reineren und milderen Farben aus, und obgleich er die ganze Erzählung als eine grasse Legende erkennen mußte, so meinte er dennoch, daß die wesentlichsten Züge derselben in dem kleinen Liede des jungen Spaniers angedeutet wären. Endlich wurde auch sein Herz mit in die Theilnahme gezogen, und zwar weniger für den Märtyrer, als für die schöne Israelitin, die er sich in der Gewalt eines fanatischen Vaters, eingekerkert und gemißhandelt, zwischen kindlicher Liebe und göttlicher Sehnsucht ringend, in dem reizendsten Bilde einer Büßerin vorspiegelte. Wie jene alten Gläubigen in den Katakomben, so stellte sich ihm die Neubekehrte in einem unterirdischen Gewölbe des Ghetto dar, den er sich um so ekelhafter und grauenvoller ausführen konnte, da er ihn noch nicht mit eigenen Augen gesehen hatte. Es war ihm dann, als ob er eine innere Ahnung fühle, daß jener Zufall, der ihm zuerst in Bologna, und dann wieder bei seiner Ankunft in Rom die Geschichte des jungen Spaniers gleichsam aufgedrungen habe, von tieferer

Inhalts einigermaßen wiederzugeben versucht haben. Arthur hatte zwar einen zu gebildeten Geschmack, um sich an der Poesie eines solchen Machwerks ergötzen zu können, aber dennoch verfehlte es nicht ganz einen Eindruck auf sein schon befangenes Gemüth zu hinterlassen. Seine aufgeregte Einbildungskraft malte die Scenen und Figuren, welche in der unbeholfenen Schilderung des Volksdichters als Caricaturen erschienen, mit reineren und milderen Farben aus, und obgleich er die ganze Erzählung als eine grasse Legende erkennen mußte, so meinte er dennoch, daß die wesentlichsten Züge derselben in dem kleinen Liede des jungen Spaniers angedeutet wären. Endlich wurde auch sein Herz mit in die Theilnahme gezogen, und zwar weniger für den Märtyrer, als für die schöne Israelitin, die er sich in der Gewalt eines fanatischen Vaters, eingekerkert und gemißhandelt, zwischen kindlicher Liebe und göttlicher Sehnsucht ringend, in dem reizendsten Bilde einer Büßerin vorspiegelte. Wie jene alten Gläubigen in den Katakomben, so stellte sich ihm die Neubekehrte in einem unterirdischen Gewölbe des Ghetto dar, den er sich um so ekelhafter und grauenvoller ausführen konnte, da er ihn noch nicht mit eigenen Augen gesehen hatte. Es war ihm dann, als ob er eine innere Ahnung fühle, daß jener Zufall, der ihm zuerst in Bologna, und dann wieder bei seiner Ankunft in Rom die Geschichte des jungen Spaniers gleichsam aufgedrungen habe, von tieferer

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[0072] Inhalts einigermaßen wiederzugeben versucht haben. Arthur hatte zwar einen zu gebildeten Geschmack, um sich an der Poesie eines solchen Machwerks ergötzen zu können, aber dennoch verfehlte es nicht ganz einen Eindruck auf sein schon befangenes Gemüth zu hinterlassen. Seine aufgeregte Einbildungskraft malte die Scenen und Figuren, welche in der unbeholfenen Schilderung des Volksdichters als Caricaturen erschienen, mit reineren und milderen Farben aus, und obgleich er die ganze Erzählung als eine grasse Legende erkennen mußte, so meinte er dennoch, daß die wesentlichsten Züge derselben in dem kleinen Liede des jungen Spaniers angedeutet wären. Endlich wurde auch sein Herz mit in die Theilnahme gezogen, und zwar weniger für den Märtyrer, als für die schöne Israelitin, die er sich in der Gewalt eines fanatischen Vaters, eingekerkert und gemißhandelt, zwischen kindlicher Liebe und göttlicher Sehnsucht ringend, in dem reizendsten Bilde einer Büßerin vorspiegelte. Wie jene alten Gläubigen in den Katakomben, so stellte sich ihm die Neubekehrte in einem unterirdischen Gewölbe des Ghetto dar, den er sich um so ekelhafter und grauenvoller ausführen konnte, da er ihn noch nicht mit eigenen Augen gesehen hatte. Es war ihm dann, als ob er eine innere Ahnung fühle, daß jener Zufall, der ihm zuerst in Bologna, und dann wieder bei seiner Ankunft in Rom die Geschichte des jungen Spaniers gleichsam aufgedrungen habe, von tieferer

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/72>, abgerufen am 06.05.2024.