Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

daß man's ihm heißt, und macht dem Marquis Platz. Aber, Herr Doctor, daß Sie mich auch nicht verrathen! Ich habe einmal durch das Schlüsselloch geguckt, Gott verzeih' mir's; denn wen soll auch die Neugierde nicht plagen, wenn so eine Komödie nebenan gespielt wird? Da lag der Marquis mit seinen Knieen auf dem Kissen und hatte die Hände gefaltet vor dem Häuschen, und die Thränen liefen ihm immer die Backen herunter; ich hätte nicht geglaubt, daß in dem ganzen Gerippe noch so viel Wasser wäre. Seinen Kirschkern hatte er aus dem Munde genommen und ihn mit sammt dem Goldkettchen an das Häuschen angehängt, unter dem Fenster mit dem Portrait.

Sonderbar! murmelte Arthur vor sich hin. So sollte die lächerliche Geschichte mit dem Kirschkern wirklich wahr sein. Ich habe sie immer für eine Fabel gehalten. Man ersinnt so viele wunderliche Dinge auf Kosten des Marquis.

Reine Wahrheit, Herr Doctor, fuhr der Schwätzer fort. An einem kleinen feinen Goldkettchen mit zwei Häkchen trägt er den Kirschkern im Munde, an zwei Zähnen befestigt, so lange ich ihm diene, und Gott weiß, wie viel länger schon. Was es aber mit dem Kirschkern eigentlich für eine Bewandtniß hat, das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber fürchten Sie sich deswegen nicht vor dem alten Mann. Er ist ein kreuzbraver, herzensguter Herr bei aller seiner Wunderlichkeit. Was er im Stillen für Gutes thut, das ist gar

daß man's ihm heißt, und macht dem Marquis Platz. Aber, Herr Doctor, daß Sie mich auch nicht verrathen! Ich habe einmal durch das Schlüsselloch geguckt, Gott verzeih' mir's; denn wen soll auch die Neugierde nicht plagen, wenn so eine Komödie nebenan gespielt wird? Da lag der Marquis mit seinen Knieen auf dem Kissen und hatte die Hände gefaltet vor dem Häuschen, und die Thränen liefen ihm immer die Backen herunter; ich hätte nicht geglaubt, daß in dem ganzen Gerippe noch so viel Wasser wäre. Seinen Kirschkern hatte er aus dem Munde genommen und ihn mit sammt dem Goldkettchen an das Häuschen angehängt, unter dem Fenster mit dem Portrait.

Sonderbar! murmelte Arthur vor sich hin. So sollte die lächerliche Geschichte mit dem Kirschkern wirklich wahr sein. Ich habe sie immer für eine Fabel gehalten. Man ersinnt so viele wunderliche Dinge auf Kosten des Marquis.

Reine Wahrheit, Herr Doctor, fuhr der Schwätzer fort. An einem kleinen feinen Goldkettchen mit zwei Häkchen trägt er den Kirschkern im Munde, an zwei Zähnen befestigt, so lange ich ihm diene, und Gott weiß, wie viel länger schon. Was es aber mit dem Kirschkern eigentlich für eine Bewandtniß hat, das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber fürchten Sie sich deswegen nicht vor dem alten Mann. Er ist ein kreuzbraver, herzensguter Herr bei aller seiner Wunderlichkeit. Was er im Stillen für Gutes thut, das ist gar

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0030"/>
daß man's ihm heißt, und macht dem Marquis Platz. Aber, Herr Doctor,                daß Sie mich auch nicht verrathen! Ich habe einmal durch das Schlüsselloch geguckt,                Gott verzeih' mir's; denn wen soll auch die Neugierde nicht plagen, wenn so eine                Komödie nebenan gespielt wird? Da lag der Marquis mit seinen Knieen auf dem Kissen                und hatte die Hände gefaltet vor dem Häuschen, und die Thränen liefen ihm immer die                Backen herunter; ich hätte nicht geglaubt, daß in dem ganzen Gerippe noch so viel                Wasser wäre. Seinen Kirschkern hatte er aus dem Munde genommen und ihn mit sammt dem                Goldkettchen an das Häuschen angehängt, unter dem Fenster mit dem Portrait.</p><lb/>
        <p>Sonderbar! murmelte Arthur vor sich hin. So sollte die lächerliche Geschichte mit dem                Kirschkern wirklich wahr sein. Ich habe sie immer für eine Fabel gehalten. Man                ersinnt so viele wunderliche Dinge auf Kosten des Marquis.</p><lb/>
        <p>Reine Wahrheit, Herr Doctor, fuhr der Schwätzer fort. An einem kleinen feinen                Goldkettchen mit zwei Häkchen trägt er den Kirschkern im Munde, an zwei Zähnen                befestigt, so lange ich ihm diene, und Gott weiß, wie viel länger schon. Was es aber                mit dem Kirschkern eigentlich für eine Bewandtniß hat, das kann ich Ihnen nicht                sagen. Aber fürchten Sie sich deswegen nicht vor dem alten Mann. Er ist ein                kreuzbraver, herzensguter Herr bei aller seiner Wunderlichkeit. Was er im Stillen für                Gutes thut, das ist gar<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0030] daß man's ihm heißt, und macht dem Marquis Platz. Aber, Herr Doctor, daß Sie mich auch nicht verrathen! Ich habe einmal durch das Schlüsselloch geguckt, Gott verzeih' mir's; denn wen soll auch die Neugierde nicht plagen, wenn so eine Komödie nebenan gespielt wird? Da lag der Marquis mit seinen Knieen auf dem Kissen und hatte die Hände gefaltet vor dem Häuschen, und die Thränen liefen ihm immer die Backen herunter; ich hätte nicht geglaubt, daß in dem ganzen Gerippe noch so viel Wasser wäre. Seinen Kirschkern hatte er aus dem Munde genommen und ihn mit sammt dem Goldkettchen an das Häuschen angehängt, unter dem Fenster mit dem Portrait. Sonderbar! murmelte Arthur vor sich hin. So sollte die lächerliche Geschichte mit dem Kirschkern wirklich wahr sein. Ich habe sie immer für eine Fabel gehalten. Man ersinnt so viele wunderliche Dinge auf Kosten des Marquis. Reine Wahrheit, Herr Doctor, fuhr der Schwätzer fort. An einem kleinen feinen Goldkettchen mit zwei Häkchen trägt er den Kirschkern im Munde, an zwei Zähnen befestigt, so lange ich ihm diene, und Gott weiß, wie viel länger schon. Was es aber mit dem Kirschkern eigentlich für eine Bewandtniß hat, das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber fürchten Sie sich deswegen nicht vor dem alten Mann. Er ist ein kreuzbraver, herzensguter Herr bei aller seiner Wunderlichkeit. Was er im Stillen für Gutes thut, das ist gar

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/30
Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/30>, abgerufen am 24.11.2024.