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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Liebe zu dem Glauben oder von dem Glauben zu der Liebe geführt habe, darüber ist uns keine sichere Kunde geworden. Indessen hat man in Santa Catalina de' Funari erzählt, daß Debora in ihrem letzten Kampfe den Namen Don Alonzo ausgesprochen und dabei ihre Augen und Arme, wie nach einer himmlischen Erscheinung, emporgerichtet habe, was um so wunderbarer ist, da es dem Mörder gelungen war, den Tod des Schülers vor ihr verborgen zu halten. Er hatte ihn nämlich in der Nacht des ersten Advents in jener oben beschriebenen Kammer des alten Nebengebäudes bei seiner Tochter überrascht, ohne in dieser geheimen Zusammenkunft etwas mehr zu vermuthen, als einen gewöhnlichen Liebeshandel. Der Augenblick forderte dringend zu der Vollstreckung seines mörderischen Vorhabens auf: er warf den Jüngling aus der Thüre, zog ihn in den verdeckten Gang, welcher durch die Ruinen einer Kloake mit der Tiber zusammenhing, erdrosselte ihn hier und schleppte dann die Leiche durch das unterirdische Gewölbe in den Fluß hinab. Debora wurde von jetzt an gleich einer Gefangenen eingeschlossen und durfte nicht über die Schwelle ihres Hauses treten. So erfuhr sie nicht das Mindeste von den Untersuchungen wegen jenes Mordes, was freilich nur durch ein mit Blindheit geschlagenes Verfahren der päpstlichen Justiz begreiflich werden kann, und daß sie ihren Jüngling nicht wiedersah, mußte ihr unter solchen Umständen als eine

Liebe zu dem Glauben oder von dem Glauben zu der Liebe geführt habe, darüber ist uns keine sichere Kunde geworden. Indessen hat man in Santa Catalina de' Funari erzählt, daß Debora in ihrem letzten Kampfe den Namen Don Alonzo ausgesprochen und dabei ihre Augen und Arme, wie nach einer himmlischen Erscheinung, emporgerichtet habe, was um so wunderbarer ist, da es dem Mörder gelungen war, den Tod des Schülers vor ihr verborgen zu halten. Er hatte ihn nämlich in der Nacht des ersten Advents in jener oben beschriebenen Kammer des alten Nebengebäudes bei seiner Tochter überrascht, ohne in dieser geheimen Zusammenkunft etwas mehr zu vermuthen, als einen gewöhnlichen Liebeshandel. Der Augenblick forderte dringend zu der Vollstreckung seines mörderischen Vorhabens auf: er warf den Jüngling aus der Thüre, zog ihn in den verdeckten Gang, welcher durch die Ruinen einer Kloake mit der Tiber zusammenhing, erdrosselte ihn hier und schleppte dann die Leiche durch das unterirdische Gewölbe in den Fluß hinab. Debora wurde von jetzt an gleich einer Gefangenen eingeschlossen und durfte nicht über die Schwelle ihres Hauses treten. So erfuhr sie nicht das Mindeste von den Untersuchungen wegen jenes Mordes, was freilich nur durch ein mit Blindheit geschlagenes Verfahren der päpstlichen Justiz begreiflich werden kann, und daß sie ihren Jüngling nicht wiedersah, mußte ihr unter solchen Umständen als eine

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[0148] Liebe zu dem Glauben oder von dem Glauben zu der Liebe geführt habe, darüber ist uns keine sichere Kunde geworden. Indessen hat man in Santa Catalina de' Funari erzählt, daß Debora in ihrem letzten Kampfe den Namen Don Alonzo ausgesprochen und dabei ihre Augen und Arme, wie nach einer himmlischen Erscheinung, emporgerichtet habe, was um so wunderbarer ist, da es dem Mörder gelungen war, den Tod des Schülers vor ihr verborgen zu halten. Er hatte ihn nämlich in der Nacht des ersten Advents in jener oben beschriebenen Kammer des alten Nebengebäudes bei seiner Tochter überrascht, ohne in dieser geheimen Zusammenkunft etwas mehr zu vermuthen, als einen gewöhnlichen Liebeshandel. Der Augenblick forderte dringend zu der Vollstreckung seines mörderischen Vorhabens auf: er warf den Jüngling aus der Thüre, zog ihn in den verdeckten Gang, welcher durch die Ruinen einer Kloake mit der Tiber zusammenhing, erdrosselte ihn hier und schleppte dann die Leiche durch das unterirdische Gewölbe in den Fluß hinab. Debora wurde von jetzt an gleich einer Gefangenen eingeschlossen und durfte nicht über die Schwelle ihres Hauses treten. So erfuhr sie nicht das Mindeste von den Untersuchungen wegen jenes Mordes, was freilich nur durch ein mit Blindheit geschlagenes Verfahren der päpstlichen Justiz begreiflich werden kann, und daß sie ihren Jüngling nicht wiedersah, mußte ihr unter solchen Umständen als eine

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/148>, abgerufen am 27.11.2024.