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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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werden könnte. Alles, was ihm einfiel, schien mißlich, aber noch viel mißlicher war der Zustand des Kranken, und sein gegebener Handschlag entschied ohnedies über die Hauptsache, nämlich, daß er dem Doctor die schöne Debora von Angesicht zu Angesicht zeigen mußte. So entschloß er sich denn rasch, wie er pflegte, und forderte seinen Gast noch einmal auf, gleich nach der Mahlzeit mit ihm einen Gang durch den Ghetto zu machen und dem alten Aron einen Besuch abzustatten. Wenn ich die phantastischen Gefühle des jungen Mannes, die sich in der blauen Luft umhertreiben, nur auf einen wirklichen Gegenstand von Fleisch und Blut gelenkt habe, so dachte er bei sich selbst, alsdann ist schon viel gewonnen. Die Krankheit geht aus der unsichtbaren Welt in das Leben über, sie nimmt einen natürlichen Charakter an, und man weiß, wie man sie anzugreifen hat.

Arthur fügte sich ohne Widerspruch, aber, wie es schien, ziemlich gleichgültig in den Vorschlag seines Freundes und frug nicht wieder nach dem Vater und der Tochter, deren Namen ihn kurz vorher so gewaltsam überrascht hatten. Man hätte erwarten sollen, daß die nahe Aussicht, eine lebendige Copie des angebeteten Bildes zu sehen, ihn entzücken würde; aber der Taumel der Erschöpfung, welcher ihn noch immer umfangen hielt, ließ keine starke Regung in seinem Herzen aufkommen. Auch konnte er es den Augen des Professors nicht zutrauen, daß sie mehr

werden könnte. Alles, was ihm einfiel, schien mißlich, aber noch viel mißlicher war der Zustand des Kranken, und sein gegebener Handschlag entschied ohnedies über die Hauptsache, nämlich, daß er dem Doctor die schöne Debora von Angesicht zu Angesicht zeigen mußte. So entschloß er sich denn rasch, wie er pflegte, und forderte seinen Gast noch einmal auf, gleich nach der Mahlzeit mit ihm einen Gang durch den Ghetto zu machen und dem alten Aron einen Besuch abzustatten. Wenn ich die phantastischen Gefühle des jungen Mannes, die sich in der blauen Luft umhertreiben, nur auf einen wirklichen Gegenstand von Fleisch und Blut gelenkt habe, so dachte er bei sich selbst, alsdann ist schon viel gewonnen. Die Krankheit geht aus der unsichtbaren Welt in das Leben über, sie nimmt einen natürlichen Charakter an, und man weiß, wie man sie anzugreifen hat.

Arthur fügte sich ohne Widerspruch, aber, wie es schien, ziemlich gleichgültig in den Vorschlag seines Freundes und frug nicht wieder nach dem Vater und der Tochter, deren Namen ihn kurz vorher so gewaltsam überrascht hatten. Man hätte erwarten sollen, daß die nahe Aussicht, eine lebendige Copie des angebeteten Bildes zu sehen, ihn entzücken würde; aber der Taumel der Erschöpfung, welcher ihn noch immer umfangen hielt, ließ keine starke Regung in seinem Herzen aufkommen. Auch konnte er es den Augen des Professors nicht zutrauen, daß sie mehr

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[0127] werden könnte. Alles, was ihm einfiel, schien mißlich, aber noch viel mißlicher war der Zustand des Kranken, und sein gegebener Handschlag entschied ohnedies über die Hauptsache, nämlich, daß er dem Doctor die schöne Debora von Angesicht zu Angesicht zeigen mußte. So entschloß er sich denn rasch, wie er pflegte, und forderte seinen Gast noch einmal auf, gleich nach der Mahlzeit mit ihm einen Gang durch den Ghetto zu machen und dem alten Aron einen Besuch abzustatten. Wenn ich die phantastischen Gefühle des jungen Mannes, die sich in der blauen Luft umhertreiben, nur auf einen wirklichen Gegenstand von Fleisch und Blut gelenkt habe, so dachte er bei sich selbst, alsdann ist schon viel gewonnen. Die Krankheit geht aus der unsichtbaren Welt in das Leben über, sie nimmt einen natürlichen Charakter an, und man weiß, wie man sie anzugreifen hat. Arthur fügte sich ohne Widerspruch, aber, wie es schien, ziemlich gleichgültig in den Vorschlag seines Freundes und frug nicht wieder nach dem Vater und der Tochter, deren Namen ihn kurz vorher so gewaltsam überrascht hatten. Man hätte erwarten sollen, daß die nahe Aussicht, eine lebendige Copie des angebeteten Bildes zu sehen, ihn entzücken würde; aber der Taumel der Erschöpfung, welcher ihn noch immer umfangen hielt, ließ keine starke Regung in seinem Herzen aufkommen. Auch konnte er es den Augen des Professors nicht zutrauen, daß sie mehr

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/127>, abgerufen am 06.05.2024.