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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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dasitzt, blaß und steif, wie eine Leiche, die Hände vor sich auf dem Pulte zusammengefaltet, und das Portait der Frauensperson anstiert mit einem Paar Augen, die sich nicht mehr bewegen, als die in dem gemalten Gesichtchen, so möchte ich ihn manchmal anstoßen und fragen: Sind Sie denn noch lebendig? Gott vergeb' es der Kreatur, die den hübschen jungen Mann zu einem solchen Gespenste macht!

Gerade so, wie der alte Cccco ihn geschildert hat, saß Arthur eines Tages in seiner Kammer vor dem Götzenbilde des Portraits, ganz untergesunken in die Anschauung seines todten Ideals, als der Professor, dessen Klopfen er überhört hatte, plötzlich die Thüre hinter ihm öffnete, zu ihm heranschritt und ihm auf die Schulter klopfte. Der Jüngling bebte zusammen, und indem er, sich umsehend, seinen Hausgenossen erkannte, verzog er sein Gesicht zu einer ängstlichen Freundlichkeit und hieß ihn willkommen. Der Professor faßte ihn bei der Hand und hielt ihm mit ernster Wärme die unbegreifliche Veränderung vor, die er seit mehreren Tagen an ihm bemerkt habe. Was fehlt Ihnen, lieber Doctor? fuhr er fort. Vertrauen Sie sich mir an. Ihr Zustand ist mir ein Räthsel, und ich wage nicht, Ihnen irgend ein Heilmittel vorzuschlagen, bevor ich den Ursprung und Sitz Ihres Uebels kenne. Aber, was es auch sei, Sie müssen einen Entschluß fassen, sich aus sich selbst herausreißen, unter Menschen gehn, Zerstreuung

dasitzt, blaß und steif, wie eine Leiche, die Hände vor sich auf dem Pulte zusammengefaltet, und das Portait der Frauensperson anstiert mit einem Paar Augen, die sich nicht mehr bewegen, als die in dem gemalten Gesichtchen, so möchte ich ihn manchmal anstoßen und fragen: Sind Sie denn noch lebendig? Gott vergeb' es der Kreatur, die den hübschen jungen Mann zu einem solchen Gespenste macht!

Gerade so, wie der alte Cccco ihn geschildert hat, saß Arthur eines Tages in seiner Kammer vor dem Götzenbilde des Portraits, ganz untergesunken in die Anschauung seines todten Ideals, als der Professor, dessen Klopfen er überhört hatte, plötzlich die Thüre hinter ihm öffnete, zu ihm heranschritt und ihm auf die Schulter klopfte. Der Jüngling bebte zusammen, und indem er, sich umsehend, seinen Hausgenossen erkannte, verzog er sein Gesicht zu einer ängstlichen Freundlichkeit und hieß ihn willkommen. Der Professor faßte ihn bei der Hand und hielt ihm mit ernster Wärme die unbegreifliche Veränderung vor, die er seit mehreren Tagen an ihm bemerkt habe. Was fehlt Ihnen, lieber Doctor? fuhr er fort. Vertrauen Sie sich mir an. Ihr Zustand ist mir ein Räthsel, und ich wage nicht, Ihnen irgend ein Heilmittel vorzuschlagen, bevor ich den Ursprung und Sitz Ihres Uebels kenne. Aber, was es auch sei, Sie müssen einen Entschluß fassen, sich aus sich selbst herausreißen, unter Menschen gehn, Zerstreuung

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[0121] dasitzt, blaß und steif, wie eine Leiche, die Hände vor sich auf dem Pulte zusammengefaltet, und das Portait der Frauensperson anstiert mit einem Paar Augen, die sich nicht mehr bewegen, als die in dem gemalten Gesichtchen, so möchte ich ihn manchmal anstoßen und fragen: Sind Sie denn noch lebendig? Gott vergeb' es der Kreatur, die den hübschen jungen Mann zu einem solchen Gespenste macht! Gerade so, wie der alte Cccco ihn geschildert hat, saß Arthur eines Tages in seiner Kammer vor dem Götzenbilde des Portraits, ganz untergesunken in die Anschauung seines todten Ideals, als der Professor, dessen Klopfen er überhört hatte, plötzlich die Thüre hinter ihm öffnete, zu ihm heranschritt und ihm auf die Schulter klopfte. Der Jüngling bebte zusammen, und indem er, sich umsehend, seinen Hausgenossen erkannte, verzog er sein Gesicht zu einer ängstlichen Freundlichkeit und hieß ihn willkommen. Der Professor faßte ihn bei der Hand und hielt ihm mit ernster Wärme die unbegreifliche Veränderung vor, die er seit mehreren Tagen an ihm bemerkt habe. Was fehlt Ihnen, lieber Doctor? fuhr er fort. Vertrauen Sie sich mir an. Ihr Zustand ist mir ein Räthsel, und ich wage nicht, Ihnen irgend ein Heilmittel vorzuschlagen, bevor ich den Ursprung und Sitz Ihres Uebels kenne. Aber, was es auch sei, Sie müssen einen Entschluß fassen, sich aus sich selbst herausreißen, unter Menschen gehn, Zerstreuung

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/121>, abgerufen am 06.05.2024.