Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

und auch auf der Straße überfiel ihn manchmal eine so unwiderstehliche Sehnsucht nach dem Anblicke der darin verschlossenen Schönheit, daß er ein einsames Plätzchen suchen mußte, um sich ungestört seiner Augenweide hingeben zu können. Ueberhaupt aber war der Zustand, in den er sich selbst allmählich durch diesen schwärmerischen Bilderdienst versetzt hatte, eine so widernatürliche Ueberspannung des Kopfes und Herzens, daß sie auch seine körperliche Gesundheit angriff. Er fing an, einen gewissen Widerwillen gegen die gemeinen Bedürfnisse des Essens und Trinkens zu empfinden, es war ihm lästig, sich anzukleiden und nur aus seinem Zimmer zu gehen, keine Gesellschaft konnte ihm ein theilnehmendes Gespräch abgewinnen oder seine Aufmerksamkeit fesseln; er saß in stummer Zerstreuung da, abwesend mit allen seinen Gedanken und Empfindungen, und wenn Jemand ihn fragte, was ihm fehle, so fuhr er auf, wie erschreckt, strich sich mit der Hand über die Stirn und antwortete in höflicher Eilfertigkeit Ja oder Nein. Alles, was ihn vormals ernsthaft beschäftigt oder fröhlich ergötzt hatte, war nun nicht mehr vermögend, ihn seiner einsiederlischen Träumerei zu entführen; das Carneval war vergessen, in keinem Buche las er länger, als auf Viertelstunden, keine Galerie wurde von ihm besucht, und nur in den dämmernden Abendstunden konnte man ihn zuweilen zwischen den Ruinen des Campo Baccino umherschleichen sehen. Cecco behauptet auch,

und auch auf der Straße überfiel ihn manchmal eine so unwiderstehliche Sehnsucht nach dem Anblicke der darin verschlossenen Schönheit, daß er ein einsames Plätzchen suchen mußte, um sich ungestört seiner Augenweide hingeben zu können. Ueberhaupt aber war der Zustand, in den er sich selbst allmählich durch diesen schwärmerischen Bilderdienst versetzt hatte, eine so widernatürliche Ueberspannung des Kopfes und Herzens, daß sie auch seine körperliche Gesundheit angriff. Er fing an, einen gewissen Widerwillen gegen die gemeinen Bedürfnisse des Essens und Trinkens zu empfinden, es war ihm lästig, sich anzukleiden und nur aus seinem Zimmer zu gehen, keine Gesellschaft konnte ihm ein theilnehmendes Gespräch abgewinnen oder seine Aufmerksamkeit fesseln; er saß in stummer Zerstreuung da, abwesend mit allen seinen Gedanken und Empfindungen, und wenn Jemand ihn fragte, was ihm fehle, so fuhr er auf, wie erschreckt, strich sich mit der Hand über die Stirn und antwortete in höflicher Eilfertigkeit Ja oder Nein. Alles, was ihn vormals ernsthaft beschäftigt oder fröhlich ergötzt hatte, war nun nicht mehr vermögend, ihn seiner einsiederlischen Träumerei zu entführen; das Carneval war vergessen, in keinem Buche las er länger, als auf Viertelstunden, keine Galerie wurde von ihm besucht, und nur in den dämmernden Abendstunden konnte man ihn zuweilen zwischen den Ruinen des Campo Baccino umherschleichen sehen. Cecco behauptet auch,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="15">
        <p><pb facs="#f0119"/>
und auch auf der Straße überfiel ihn manchmal eine so                unwiderstehliche Sehnsucht nach dem Anblicke der darin verschlossenen Schönheit, daß                er ein einsames Plätzchen suchen mußte, um sich ungestört seiner Augenweide hingeben                zu können. Ueberhaupt aber war der Zustand, in den er sich selbst allmählich durch                diesen schwärmerischen Bilderdienst versetzt hatte, eine so widernatürliche                Ueberspannung des Kopfes und Herzens, daß sie auch seine körperliche Gesundheit                angriff. Er fing an, einen gewissen Widerwillen gegen die gemeinen Bedürfnisse des                Essens und Trinkens zu empfinden, es war ihm lästig, sich anzukleiden und nur aus                seinem Zimmer zu gehen, keine Gesellschaft konnte ihm ein theilnehmendes Gespräch                abgewinnen oder seine Aufmerksamkeit fesseln; er saß in stummer Zerstreuung da,                abwesend mit allen seinen Gedanken und Empfindungen, und wenn Jemand ihn fragte, was                ihm fehle, so fuhr er auf, wie erschreckt, strich sich mit der Hand über die Stirn                und antwortete in höflicher Eilfertigkeit Ja oder Nein. Alles, was ihn vormals                ernsthaft beschäftigt oder fröhlich ergötzt hatte, war nun nicht mehr vermögend, ihn                seiner einsiederlischen Träumerei zu entführen; das Carneval war vergessen, in keinem                Buche las er länger, als auf Viertelstunden, keine Galerie wurde von ihm besucht, und                nur in den dämmernden Abendstunden konnte man ihn zuweilen zwischen den Ruinen des                Campo Baccino umherschleichen sehen. Cecco behauptet auch,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0119] und auch auf der Straße überfiel ihn manchmal eine so unwiderstehliche Sehnsucht nach dem Anblicke der darin verschlossenen Schönheit, daß er ein einsames Plätzchen suchen mußte, um sich ungestört seiner Augenweide hingeben zu können. Ueberhaupt aber war der Zustand, in den er sich selbst allmählich durch diesen schwärmerischen Bilderdienst versetzt hatte, eine so widernatürliche Ueberspannung des Kopfes und Herzens, daß sie auch seine körperliche Gesundheit angriff. Er fing an, einen gewissen Widerwillen gegen die gemeinen Bedürfnisse des Essens und Trinkens zu empfinden, es war ihm lästig, sich anzukleiden und nur aus seinem Zimmer zu gehen, keine Gesellschaft konnte ihm ein theilnehmendes Gespräch abgewinnen oder seine Aufmerksamkeit fesseln; er saß in stummer Zerstreuung da, abwesend mit allen seinen Gedanken und Empfindungen, und wenn Jemand ihn fragte, was ihm fehle, so fuhr er auf, wie erschreckt, strich sich mit der Hand über die Stirn und antwortete in höflicher Eilfertigkeit Ja oder Nein. Alles, was ihn vormals ernsthaft beschäftigt oder fröhlich ergötzt hatte, war nun nicht mehr vermögend, ihn seiner einsiederlischen Träumerei zu entführen; das Carneval war vergessen, in keinem Buche las er länger, als auf Viertelstunden, keine Galerie wurde von ihm besucht, und nur in den dämmernden Abendstunden konnte man ihn zuweilen zwischen den Ruinen des Campo Baccino umherschleichen sehen. Cecco behauptet auch,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/119
Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/119>, abgerufen am 05.05.2024.