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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Debora's Portrait, welches in dem Pappenhause steht, hat ein geschickter Maler aus Valencia verstohlener Weise auf dem Spaziergange und an dem Fenster eines ihrer Wohnung gegenüberliegenden Hauses für mich gemalt. Es kann für ähnlich gelten, und dennoch gleicht es ihr nicht mehr, als ich einem Antinous. Das Haus, in welchem es aufgestellt ist, habe ich erst später aus der Erinnerung dem nachgebildet, welches sie in Grao bewohnte, und auch das große Fenster, aus welchem sie herauszuschauen pflegte, ist in demselben für das Gemälde angebracht. Ich habe sonst kein Angedenken von ihr aufzuweisen, als den Kern einer kleinen kirschartigen Pflaume, den ich seit dem Augenblicke, daß ich ihn unter ihrem Fenster auffing, fast unausgesetzt in meinem Munde trage."

Die Schriftzüge gaben an dieser Stelle eine zitternde Hand zu erkennen, und es schien auch, als ob die folgenden Zeilen nach einer Unterbrechung mit neuer gesammelter Kraft wieder ansetzten.

"Theodora nannte sich die schöne Fremde unter der Palme, und sie war für mich, was dieser Name bedeutet, eine von Gott Gegebene. Von ihren Verhältnissen erfuhr ich Folgendes. Sie war aus Malta gebürtig und seit einem Jahre mit einem reichen Kaufmanne verheirathet, welcher in Perpignan wohnte, aber seine größten Geschäfte in Spanien betrieb. Er reis'te fast das ganze Jahr hindurch in diesem Lande, begünstigt durch die Schutzbriefe einiger Gesandten,

Debora's Portrait, welches in dem Pappenhause steht, hat ein geschickter Maler aus Valencia verstohlener Weise auf dem Spaziergange und an dem Fenster eines ihrer Wohnung gegenüberliegenden Hauses für mich gemalt. Es kann für ähnlich gelten, und dennoch gleicht es ihr nicht mehr, als ich einem Antinous. Das Haus, in welchem es aufgestellt ist, habe ich erst später aus der Erinnerung dem nachgebildet, welches sie in Grao bewohnte, und auch das große Fenster, aus welchem sie herauszuschauen pflegte, ist in demselben für das Gemälde angebracht. Ich habe sonst kein Angedenken von ihr aufzuweisen, als den Kern einer kleinen kirschartigen Pflaume, den ich seit dem Augenblicke, daß ich ihn unter ihrem Fenster auffing, fast unausgesetzt in meinem Munde trage.“

Die Schriftzüge gaben an dieser Stelle eine zitternde Hand zu erkennen, und es schien auch, als ob die folgenden Zeilen nach einer Unterbrechung mit neuer gesammelter Kraft wieder ansetzten.

„Theodora nannte sich die schöne Fremde unter der Palme, und sie war für mich, was dieser Name bedeutet, eine von Gott Gegebene. Von ihren Verhältnissen erfuhr ich Folgendes. Sie war aus Malta gebürtig und seit einem Jahre mit einem reichen Kaufmanne verheirathet, welcher in Perpignan wohnte, aber seine größten Geschäfte in Spanien betrieb. Er reis'te fast das ganze Jahr hindurch in diesem Lande, begünstigt durch die Schutzbriefe einiger Gesandten,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/110>, abgerufen am 05.05.2024.