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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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gestalt erblickte, deren Erscheinung mein ganzes Wesen auf eine Weise ergriff und durchdrang, die ich nicht zu beschreiben im Stande bin, obgleich, so oft ich an diesen Moment zurückdenke, das Wunder desselben in mir wie der schwache Nachhall eines fernen Gewitters wiedertönt. Ich war damals ein Mann von siebenunddreißig Jahren, hatte schon oft jene Leidenschaft empfunden, welcher man den Namen der Liebe zu geben pflegt, und stand auch gerade jetzt in einem galanten Verhältnisse mit einer Dame aus Valencia, welches meine Sinnlichkeit in den lebhaftesten Anspruch genommen hatte; aber der erste Blick, den ich auf das himmlische Antlitz meiner Debora richtete, verzehrte wie ein Blitzstrahl Alles, was von früheren Funken und Flammen in meinem Herzen glimmte, so gänzlich, daß mir auch nicht das leiseste Nachgefühl desselben zurückblieb. Ich kann nicht anders sagen, als daß ich augenblicklich zu einem neuen Menschen umgeschaffen wurde, ein neues Leben in mir aufging, meine Sinne in verjüngter Lauterkeit sahen, hörten und fühlten, und mein Herz wie aus einer finstern und dumpfen Hülle hervorsprang und geblendet, wie ein Seliger im ersten Anschauen der göttlichen Glorie, dem erlösenden Lichte entgegenflog. Aber warum versuche ich das zu schildern, was Sie, mein lieber junger Freund, doch nur verstehen würden, wenn Sie es nachempfinden könnten? Und das können Sie heute noch nicht.

gestalt erblickte, deren Erscheinung mein ganzes Wesen auf eine Weise ergriff und durchdrang, die ich nicht zu beschreiben im Stande bin, obgleich, so oft ich an diesen Moment zurückdenke, das Wunder desselben in mir wie der schwache Nachhall eines fernen Gewitters wiedertönt. Ich war damals ein Mann von siebenunddreißig Jahren, hatte schon oft jene Leidenschaft empfunden, welcher man den Namen der Liebe zu geben pflegt, und stand auch gerade jetzt in einem galanten Verhältnisse mit einer Dame aus Valencia, welches meine Sinnlichkeit in den lebhaftesten Anspruch genommen hatte; aber der erste Blick, den ich auf das himmlische Antlitz meiner Debora richtete, verzehrte wie ein Blitzstrahl Alles, was von früheren Funken und Flammen in meinem Herzen glimmte, so gänzlich, daß mir auch nicht das leiseste Nachgefühl desselben zurückblieb. Ich kann nicht anders sagen, als daß ich augenblicklich zu einem neuen Menschen umgeschaffen wurde, ein neues Leben in mir aufging, meine Sinne in verjüngter Lauterkeit sahen, hörten und fühlten, und mein Herz wie aus einer finstern und dumpfen Hülle hervorsprang und geblendet, wie ein Seliger im ersten Anschauen der göttlichen Glorie, dem erlösenden Lichte entgegenflog. Aber warum versuche ich das zu schildern, was Sie, mein lieber junger Freund, doch nur verstehen würden, wenn Sie es nachempfinden könnten? Und das können Sie heute noch nicht.

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[0109] gestalt erblickte, deren Erscheinung mein ganzes Wesen auf eine Weise ergriff und durchdrang, die ich nicht zu beschreiben im Stande bin, obgleich, so oft ich an diesen Moment zurückdenke, das Wunder desselben in mir wie der schwache Nachhall eines fernen Gewitters wiedertönt. Ich war damals ein Mann von siebenunddreißig Jahren, hatte schon oft jene Leidenschaft empfunden, welcher man den Namen der Liebe zu geben pflegt, und stand auch gerade jetzt in einem galanten Verhältnisse mit einer Dame aus Valencia, welches meine Sinnlichkeit in den lebhaftesten Anspruch genommen hatte; aber der erste Blick, den ich auf das himmlische Antlitz meiner Debora richtete, verzehrte wie ein Blitzstrahl Alles, was von früheren Funken und Flammen in meinem Herzen glimmte, so gänzlich, daß mir auch nicht das leiseste Nachgefühl desselben zurückblieb. Ich kann nicht anders sagen, als daß ich augenblicklich zu einem neuen Menschen umgeschaffen wurde, ein neues Leben in mir aufging, meine Sinne in verjüngter Lauterkeit sahen, hörten und fühlten, und mein Herz wie aus einer finstern und dumpfen Hülle hervorsprang und geblendet, wie ein Seliger im ersten Anschauen der göttlichen Glorie, dem erlösenden Lichte entgegenflog. Aber warum versuche ich das zu schildern, was Sie, mein lieber junger Freund, doch nur verstehen würden, wenn Sie es nachempfinden könnten? Und das können Sie heute noch nicht.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/109>, abgerufen am 06.05.2024.