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Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.

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Leichen-Gedichte.
Erblaste Nachbarin/ ach daß aus deinen Gräntzen
Du diesen Bothen nicht auch hast zu mir geweist!
Jch wer' aus meiner Gräntz als wie in Freuden-Täntzen
Ein williger Geferth und Nachbar nachgereist.
Denn ist es sonst bekandt/ daß man mit Nachbarn bauet/
Daß aus den Fenstern man einander vielmals rufft:
So glaube/ daß mir nicht vor dieser Post gegrauet/
Und daß ich längst geschickt zu fahren in die Grufft.
Es sey/ daß in dem Grab die Würme Nachbarn werden/
Daß die Verwesung muß an statt der Schwester seyn;
Manch grober Nachbar ist ein Wurm und Schlang auff Erden/
Der den Verleumbdungs-Zahn setzt gleich der Natter ein.
Friedfert' ge Nachbarin/ du lebst nunmehr in Frieden/
Läst die erboste Welt sich zancken wie sie will.
Bist gleich den Schlaffenden in stiller Ruh verschieden
Und hast nach Kampff und Streit erlangt das rechte Ziel.
Dein Angedencken blüht noch in der Kinder Seelen/
Die Tugend legt dir selbst das wahre Zeugnüß bey/
Daß man nicht erst auff Stein und Marmel darff aushölen/
Wie sittsam still und fromm dein Lauff gewesen sey.
Du achtest nicht die Welt/ hieltst dich in deinen Gräntzen/
Und stille Frömmigkeit war über dir dein Schild/
Dein sorgen/ wie sich mehr die Nahrung möcht ergäntzen
Die Gottes Seegen auch sehr reichlich angefüllt.
Sonst hat des Nechsten Thun dir Kummer nicht erwecket/
Dein Fenster durffte nicht des Nachbarn Richt-Stul seyn.
Du hast in deinem Hauß den Schnecken gleich gestecket
Und mehr als Gifft gehast den Heuch- und Schmeichelschein.
Die Enckel blieben nur die Cirkul deiner Freuden/
Jhr angenehmer Schertz der beste Zeitvertreib/
Jhr Zuspruch minderte das überhäuffte Leiden/
Wenn neuer Kranckheit Weh befiel den mürben Leib.
Beglückte Nachbarin! die in der Kinder Händen
Jn ihrer Liebes-Pflicht so sanfft von hinnen fährt:
Die nach so vielem Sturm kan an den Port anländen
Und die kein zeitlich Creutz und Trangsal mehr beschwert.
Schlaf/ werthe Nachbarin/ in deines Grabes Gräntzen!
Dich hält gar wol verwahrt dein Gräntz- und Leichenstein/
Dein Lebens-Winter sieht jetzt einen solchen Lentzen
Dem keine Blumen hier auff Erden ähnlich seyn.
Du
Leichen-Gedichte.
Erblaſte Nachbarin/ ach daß aus deinen Graͤntzen
Du dieſen Bothen nicht auch haſt zu mir geweiſt!
Jch wer’ aus meiner Graͤntz als wie in Freuden-Taͤntzen
Ein williger Geferth und Nachbar nachgereiſt.
Denn iſt es ſonſt bekandt/ daß man mit Nachbarn bauet/
Daß aus den Fenſtern man einander vielmals rufft:
So glaube/ daß mir nicht vor dieſer Poſt gegrauet/
Und daß ich laͤngſt geſchickt zu fahren in die Grufft.
Es ſey/ daß in dem Grab die Wuͤrme Nachbarn werden/
Daß die Verweſung muß an ſtatt der Schweſter ſeyn;
Manch grober Nachbar iſt ein Wurm und Schlang auff Erden/
Der den Verleumbdungs-Zahn ſetzt gleich der Natter ein.
Friedfert’ ge Nachbarin/ du lebſt nunmehr in Frieden/
Laͤſt die erboſte Welt ſich zancken wie ſie will.
Biſt gleich den Schlaffenden in ſtiller Ruh verſchieden
Und haſt nach Kampff und Streit erlangt das rechte Ziel.
Dein Angedencken bluͤht noch in der Kinder Seelen/
Die Tugend legt dir ſelbſt das wahre Zeugnuͤß bey/
Daß man nicht erſt auff Stein und Marmel darff aushoͤlen/
Wie ſittſam ſtill und fromm dein Lauff geweſen ſey.
Du achteſt nicht die Welt/ hieltſt dich in deinen Graͤntzen/
Und ſtille Froͤmmigkeit war uͤber dir dein Schild/
Dein ſorgen/ wie ſich mehr die Nahrung moͤcht ergaͤntzen
Die Gottes Seegen auch ſehr reichlich angefuͤllt.
Sonſt hat des Nechſten Thun dir Kummer nicht erwecket/
Dein Fenſter durffte nicht des Nachbarn Richt-Stul ſeyn.
Du haſt in deinem Hauß den Schnecken gleich geſtecket
Und mehr als Gifft gehaſt den Heuch- und Schmeichelſchein.
Die Enckel blieben nur die Cirkul deiner Freuden/
Jhr angenehmer Schertz der beſte Zeitvertreib/
Jhr Zuſpruch minderte das uͤberhaͤuffte Leiden/
Wenn neuer Kranckheit Weh befiel den muͤrben Leib.
Begluͤckte Nachbarin! die in der Kinder Haͤnden
Jn ihrer Liebes-Pflicht ſo ſanfft von hinnen faͤhrt:
Die nach ſo vielem Sturm kan an den Port anlaͤnden
Und die kein zeitlich Creutz und Trangſal mehr beſchwert.
Schlaf/ werthe Nachbarin/ in deines Grabes Graͤntzen!
Dich haͤlt gar wol verwahrt dein Graͤntz- und Leichenſtein/
Dein Lebens-Winter ſieht jetzt einen ſolchen Lentzen
Dem keine Blumen hier auff Erden aͤhnlich ſeyn.
Du
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[396/0628] Leichen-Gedichte. Erblaſte Nachbarin/ ach daß aus deinen Graͤntzen Du dieſen Bothen nicht auch haſt zu mir geweiſt! Jch wer’ aus meiner Graͤntz als wie in Freuden-Taͤntzen Ein williger Geferth und Nachbar nachgereiſt. Denn iſt es ſonſt bekandt/ daß man mit Nachbarn bauet/ Daß aus den Fenſtern man einander vielmals rufft: So glaube/ daß mir nicht vor dieſer Poſt gegrauet/ Und daß ich laͤngſt geſchickt zu fahren in die Grufft. Es ſey/ daß in dem Grab die Wuͤrme Nachbarn werden/ Daß die Verweſung muß an ſtatt der Schweſter ſeyn; Manch grober Nachbar iſt ein Wurm und Schlang auff Erden/ Der den Verleumbdungs-Zahn ſetzt gleich der Natter ein. Friedfert’ ge Nachbarin/ du lebſt nunmehr in Frieden/ Laͤſt die erboſte Welt ſich zancken wie ſie will. Biſt gleich den Schlaffenden in ſtiller Ruh verſchieden Und haſt nach Kampff und Streit erlangt das rechte Ziel. Dein Angedencken bluͤht noch in der Kinder Seelen/ Die Tugend legt dir ſelbſt das wahre Zeugnuͤß bey/ Daß man nicht erſt auff Stein und Marmel darff aushoͤlen/ Wie ſittſam ſtill und fromm dein Lauff geweſen ſey. Du achteſt nicht die Welt/ hieltſt dich in deinen Graͤntzen/ Und ſtille Froͤmmigkeit war uͤber dir dein Schild/ Dein ſorgen/ wie ſich mehr die Nahrung moͤcht ergaͤntzen Die Gottes Seegen auch ſehr reichlich angefuͤllt. Sonſt hat des Nechſten Thun dir Kummer nicht erwecket/ Dein Fenſter durffte nicht des Nachbarn Richt-Stul ſeyn. Du haſt in deinem Hauß den Schnecken gleich geſtecket Und mehr als Gifft gehaſt den Heuch- und Schmeichelſchein. Die Enckel blieben nur die Cirkul deiner Freuden/ Jhr angenehmer Schertz der beſte Zeitvertreib/ Jhr Zuſpruch minderte das uͤberhaͤuffte Leiden/ Wenn neuer Kranckheit Weh befiel den muͤrben Leib. Begluͤckte Nachbarin! die in der Kinder Haͤnden Jn ihrer Liebes-Pflicht ſo ſanfft von hinnen faͤhrt: Die nach ſo vielem Sturm kan an den Port anlaͤnden Und die kein zeitlich Creutz und Trangſal mehr beſchwert. Schlaf/ werthe Nachbarin/ in deines Grabes Graͤntzen! Dich haͤlt gar wol verwahrt dein Graͤntz- und Leichenſtein/ Dein Lebens-Winter ſieht jetzt einen ſolchen Lentzen Dem keine Blumen hier auff Erden aͤhnlich ſeyn. Du

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Zitationshilfe: Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muehlpfort_gedichte01_1686/628>, abgerufen am 22.11.2024.