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Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756.

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Das zwölfte Hauptstück.
Von dem richtigen Notenlesen und guten Vortrage
überhaupts.
§. 1.

An der guten Ausführung ist alles gelegen. Diesen Satz bestättiget
die tägliche Erfahrniß. Mancher Halbcomponist ist vom Vergnügen ent-
zücket, und hält nun von neuem erst selbst recht viel auf sich, wenn er seinen
musikalischen Galimatias von guten Spielern vortragen höret, die den Affect,
an den er nicht einmal gedacht hat, am rechten Orte anzubringen, und die
Charakters, die ihm niemals eingefallen sind, so viel es möglich ist zu unterschei-
den, und folglich die ganze elende Schmiererey den Ohren der Zuhörer durch
einen guten Vortrag erträglich zu machen wissen. Und wem ist hingegen un-
bekannt, daß oft die beste Composition so elend ausgeführet wird, daß der
Componist selbst Noth genug hat seine eigene Arbeit zu kennen?

§. 2.

Der gute Vortrag einer Composition nach dem heutigen Geschmacke ist nicht
so leicht als sichs manche einbilden, die sehr wohl zu thun glauben, wenn sie
ein Stück nach ihrem Kopfe recht närrisch verzieren und verkräuseln; und die
von demjenigen Affecte ganz keine Empfindung haben, der in dem Stücke soll
ausgedrücket werden. Und wer sind diese Leute? Es sind meistens solche, die,
da sie kaum im Tacte ein wenig gut fortkommen, sich gleich an Concerte und
Solo machen, um (nach ihrer dummen Meinung) sich nur fein bald in die
Zahl der Virtuosen einzudringen. Manche bringen es auch dahin, daß sie in
etlichen Concerten oder Solo, die sie rechtschaffen geübet haben, die schweresten
Passagen ungemein fertig wegspielen. Diese wissen sie nun auswendig. Sollen
sie aber nur ein paar Menuete nach der Vorschrift des Componisten singbar
vortragen; so sind sie es nicht im Stande: ja man sieht es in ihren studierten

Concer-
Das zwoͤlfte Hauptſtuͤck.
Von dem richtigen Notenleſen und guten Vortrage
uͤberhaupts.
§. 1.

An der guten Ausfuͤhrung iſt alles gelegen. Dieſen Satz beſtaͤttiget
die taͤgliche Erfahrniß. Mancher Halbcomponiſt iſt vom Vergnuͤgen ent-
zuͤcket, und haͤlt nun von neuem erſt ſelbſt recht viel auf ſich, wenn er ſeinen
muſikaliſchen Galimatias von guten Spielern vortragen hoͤret, die den Affect,
an den er nicht einmal gedacht hat, am rechten Orte anzubringen, und die
Charakters, die ihm niemals eingefallen ſind, ſo viel es moͤglich iſt zu unterſchei-
den, und folglich die ganze elende Schmiererey den Ohren der Zuhoͤrer durch
einen guten Vortrag ertraͤglich zu machen wiſſen. Und wem iſt hingegen un-
bekannt, daß oft die beſte Compoſition ſo elend ausgefuͤhret wird, daß der
Componiſt ſelbſt Noth genug hat ſeine eigene Arbeit zu kennen?

§. 2.

Der gute Vortrag einer Compoſition nach dem heutigen Geſchmacke iſt nicht
ſo leicht als ſichs manche einbilden, die ſehr wohl zu thun glauben, wenn ſie
ein Stuͤck nach ihrem Kopfe recht naͤrriſch verzieren und verkraͤuſeln; und die
von demjenigen Affecte ganz keine Empfindung haben, der in dem Stuͤcke ſoll
ausgedruͤcket werden. Und wer ſind dieſe Leute? Es ſind meiſtens ſolche, die,
da ſie kaum im Tacte ein wenig gut fortkommen, ſich gleich an Concerte und
Solo machen, um (nach ihrer dummen Meinung) ſich nur fein bald in die
Zahl der Virtuoſen einzudringen. Manche bringen es auch dahin, daß ſie in
etlichen Concerten oder Solo, die ſie rechtſchaffen geuͤbet haben, die ſchwereſten
Paſſagen ungemein fertig wegſpielen. Dieſe wiſſen ſie nun auswendig. Sollen
ſie aber nur ein paar Menuete nach der Vorſchrift des Componiſten ſingbar
vortragen; ſo ſind ſie es nicht im Stande: ja man ſieht es in ihren ſtudierten

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[252/0280] Das zwoͤlfte Hauptſtuͤck. Von dem richtigen Notenleſen und guten Vortrage uͤberhaupts. §. 1. An der guten Ausfuͤhrung iſt alles gelegen. Dieſen Satz beſtaͤttiget die taͤgliche Erfahrniß. Mancher Halbcomponiſt iſt vom Vergnuͤgen ent- zuͤcket, und haͤlt nun von neuem erſt ſelbſt recht viel auf ſich, wenn er ſeinen muſikaliſchen Galimatias von guten Spielern vortragen hoͤret, die den Affect, an den er nicht einmal gedacht hat, am rechten Orte anzubringen, und die Charakters, die ihm niemals eingefallen ſind, ſo viel es moͤglich iſt zu unterſchei- den, und folglich die ganze elende Schmiererey den Ohren der Zuhoͤrer durch einen guten Vortrag ertraͤglich zu machen wiſſen. Und wem iſt hingegen un- bekannt, daß oft die beſte Compoſition ſo elend ausgefuͤhret wird, daß der Componiſt ſelbſt Noth genug hat ſeine eigene Arbeit zu kennen? §. 2. Der gute Vortrag einer Compoſition nach dem heutigen Geſchmacke iſt nicht ſo leicht als ſichs manche einbilden, die ſehr wohl zu thun glauben, wenn ſie ein Stuͤck nach ihrem Kopfe recht naͤrriſch verzieren und verkraͤuſeln; und die von demjenigen Affecte ganz keine Empfindung haben, der in dem Stuͤcke ſoll ausgedruͤcket werden. Und wer ſind dieſe Leute? Es ſind meiſtens ſolche, die, da ſie kaum im Tacte ein wenig gut fortkommen, ſich gleich an Concerte und Solo machen, um (nach ihrer dummen Meinung) ſich nur fein bald in die Zahl der Virtuoſen einzudringen. Manche bringen es auch dahin, daß ſie in etlichen Concerten oder Solo, die ſie rechtſchaffen geuͤbet haben, die ſchwereſten Paſſagen ungemein fertig wegſpielen. Dieſe wiſſen ſie nun auswendig. Sollen ſie aber nur ein paar Menuete nach der Vorſchrift des Componiſten ſingbar vortragen; ſo ſind ſie es nicht im Stande: ja man ſieht es in ihren ſtudierten Concer-

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Zitationshilfe: Mozart, Leopold: Versuch einer gründlichen Violinschule. Augsburg, 1756, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mozart_violinschule_1756/280>, abgerufen am 27.11.2024.