Die Wagschaale zwischen Mensch und Fürst bleibt immer die Regel der Beurtheilung.
Man erlaubt den Königen und Fürsten gerne, dass sie auch Menschen seyen, und nimmt es bey ihnen nicht zu genau.
Der Glaube, das Vorurtheil der Völker, ist in der Regel allemahl vor die Könige und Fürsten, wenn sie sich durch eigene Schuld dieses Ver- trauens nicht verlustig machen.
Die Völker haben vielmehr grosse und oft lange Geduld mit ihren blossen Menschlichkei- ten, und verzeihen ihnen vieles, was sie andern Geringern nicht zu gut halten würden.
Es wird ihnen auf alle Weise leicht gemacht, achtungs- und liebenswürdig zu seyn.
Je mehr einer ein vortreflicher, begabter, ta- lentreicher Mensch ist, je ein besserer Fürst wird er auch seyn.
Diese zwo Eigenschaften werden häufig ver- wechselt; man legt nur allzuoft dem Fürsten bey, was nur an dem Menschen achtungs- und liebenswerth ist; daher kann einer ein schätzba- rer Privat-Mann seyn, der einen sehr mittel- mässigen Regenten darstellen würde.
Dagegen kann einer ein sehr fehlervoller, so
Die Wagschaale zwischen Mensch und Fürst bleibt immer die Regel der Beurtheilung.
Man erlaubt den Königen und Fürsten gerne, daſs sie auch Menschen seyen, und nimmt es bey ihnen nicht zu genau.
Der Glaube, das Vorurtheil der Völker, ist in der Regel allemahl vor die Könige und Fürsten, wenn sie sich durch eigene Schuld dieses Ver- trauens nicht verlustig machen.
Die Völker haben vielmehr groſse und oft lange Geduld mit ihren bloſsen Menschlichkei- ten, und verzeihen ihnen vieles, was sie andern Geringern nicht zu gut halten würden.
Es wird ihnen auf alle Weise leicht gemacht, achtungs- und liebenswürdig zu seyn.
Je mehr einer ein vortreflicher, begabter, ta- lentreicher Mensch ist, je ein besserer Fürst wird er auch seyn.
Diese zwo Eigenschaften werden häufig ver- wechselt; man legt nur allzuoft dem Fürsten bey, was nur an dem Menschen achtungs- und liebenswerth ist; daher kann einer ein schätzba- rer Privat-Mann seyn, der einen sehr mittel- mäſsigen Regenten darstellen würde.
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Die Wagschaale zwischen Mensch und Fürst
bleibt immer die Regel der Beurtheilung.
Man erlaubt den Königen und Fürsten gerne,
daſs sie auch Menschen seyen, und nimmt es
bey ihnen nicht zu genau.
Der Glaube, das Vorurtheil der Völker, ist in
der Regel allemahl vor die Könige und Fürsten,
wenn sie sich durch eigene Schuld dieses Ver-
trauens nicht verlustig machen.
Die Völker haben vielmehr groſse und oft
lange Geduld mit ihren bloſsen Menschlichkei-
ten, und verzeihen ihnen vieles, was sie andern
Geringern nicht zu gut halten würden.
Es wird ihnen auf alle Weise leicht gemacht,
achtungs- und liebenswürdig zu seyn.
Je mehr einer ein vortreflicher, begabter, ta-
lentreicher Mensch ist, je ein besserer Fürst
wird er auch seyn.
Diese zwo Eigenschaften werden häufig ver-
wechselt; man legt nur allzuoft dem Fürsten
bey, was nur an dem Menschen achtungs- und
liebenswerth ist; daher kann einer ein schätzba-
rer Privat-Mann seyn, der einen sehr mittel-
mäſsigen Regenten darstellen würde.
Dagegen kann einer ein sehr fehlervoller, so
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Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 2. Zürich, 1796, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische02_1796/76>, abgerufen am 17.02.2025.
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