Haus und Land verdienten Minister spricht: Wir sind alt miteinander worden; wir müssen bey- sammen bleiben, uns kann nichts als der Tod scheiden". So zärtlich nahm auch K. Joseph II. in seinen lezten Lebens-Stunden von sei- nem Kauniz Abscheid, unter dessen weisen Leitung Er selbst aufgewachsen war. Alles übertrift aber an tiefer Weisheit eine Bemerkung, die Friedrich II. in Preussen, als er noch Cron- prinz war, in seinem Anti-Machiavell *) ge- macht, von der man rühmen kann, dass er der- selben in dem langen Lauf seiner Regierung meistens getreu verblieben sey: "Die Souve- rains", sagt er, "welche nicht Philosophen sind, werden leicht ungedultig; sie ereifern sich leicht über die Schwachheiten derer, so ihnen dienen; sie beungnaden sie, und machen sie unglücklich. Die Fürsten, welche tiefer nachdenken, ken- nen die Menschen besser; sie wissen, dass sie alle das Gepräge der Menschlichkeit an sich tragen; dass nichts Vollkommenes in dieser Welt ist, dass grosse Eigenschaften gleichsam im Gleichgewicht stehen mit grossen Fehlern, und dass ein Mann von Genie aus Allem seinen Vor-
*) Cap. 22.
Haus und Land verdienten Minister spricht: Wir sind alt miteinander worden; wir müssen bey- sammen bleiben, uns kann nichts als der Tod scheiden„. So zärtlich nahm auch K. Joseph II. in seinen lezten Lebens-Stunden von sei- nem Kauniz Abscheid, unter dessen weisen Leitung Er selbst aufgewachsen war. Alles übertrift aber an tiefer Weisheit eine Bemerkung, die Friedrich II. in Preussen, als er noch Cron- prinz war, in seinem Anti-Machiavell *) ge- macht, von der man rühmen kann, daſs er der- selben in dem langen Lauf seiner Regierung meistens getreu verblieben sey: „Die Souve- rains„, sagt er, „welche nicht Philosophen sind, werden leicht ungedultig; sie ereifern sich leicht über die Schwachheiten derer, so ihnen dienen; sie beungnaden sie, und machen sie unglücklich. Die Fürsten, welche tiefer nachdenken, ken- nen die Menschen besser; sie wissen, daſs sie alle das Gepräge der Menschlichkeit an sich tragen; daſs nichts Vollkommenes in dieser Welt ist, daſs grosse Eigenschaften gleichsam im Gleichgewicht stehen mit grossen Fehlern, und daſs ein Mann von Genie aus Allem seinen Vor-
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Haus und Land verdienten Minister spricht: Wir
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sammen bleiben, uns kann nichts als der Tod
scheiden„. So zärtlich nahm auch K. Joseph
II. in seinen lezten Lebens-Stunden von sei-
nem Kauniz Abscheid, unter dessen weisen
Leitung Er selbst aufgewachsen war. Alles
übertrift aber an tiefer Weisheit eine Bemerkung,
die Friedrich II. in Preussen, als er noch Cron-
prinz war, in seinem Anti-Machiavell *) ge-
macht, von der man rühmen kann, daſs er der-
selben in dem langen Lauf seiner Regierung
meistens getreu verblieben sey: „Die Souve-
rains„, sagt er, „welche nicht Philosophen sind,
werden leicht ungedultig; sie ereifern sich leicht
über die Schwachheiten derer, so ihnen dienen;
sie beungnaden sie, und machen sie unglücklich.
Die Fürsten, welche tiefer nachdenken, ken-
nen die Menschen besser; sie wissen, daſs sie
alle das Gepräge der Menschlichkeit an sich
tragen; daſs nichts Vollkommenes in dieser Welt
ist, daſs grosse Eigenschaften gleichsam im
Gleichgewicht stehen mit grossen Fehlern, und
daſs ein Mann von Genie aus Allem seinen Vor-
*) Cap. 22.
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Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 2. Zürich, 1796, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische02_1796/173>, abgerufen am 22.11.2024.
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