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Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 2. Zürich, 1796.

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der Unwissenheit des Adels und der Layen das
Canzler- und Schreiber-Amt an den Höfen, und
hatten dadurch die tägliche Gelegenheit, die
gnädigsten Herrn in ihrer ganzen schönen Natur
kennen zu lernen, und sie hernach in Stunden
der Einsamkeit nach Musse zu conterfeyen und
nach ihrem wahren oder geglaubten Character
zu schildern. Wenn mehrere Regenten eines
Hauses einerley Nahmen führten, so wurden
sie durch Beynahmen von einander unterschie-
den; daher entstuhnden der Carl der Grosse, Carl
der Dicke, Carl der Kahlkopf, Ludwig der
Strenge, Ludwig der Faule, Ludwig der From-
me, der Teutsche, Ludwig der Müssiggänger,
Heinrich der Vogelfänger, Friedrich der Roth-
bart; und der hatte von Glück zu sagen, der
mit einer blossen cörperlichen Signatur davon
kam, ohne mit einem moralischen Stempel ge-
brandmarkt zu werden. Unlaugbar ist, dass da-
bey viele Partheylichkeit mit untergelaufen ist,
und diejenigen Herrn, welche sich gegen die
Geistlichkeit am gefälligsten und freygebigsten
erwiesen, oft mit den zierlichsten Beynahmen
geschmückt wurden.

Weil in Deutschland insbesondere jedes Land
seine Clöster und jedes Haus seine Annalisten

der Unwissenheit des Adels und der Layen das
Canzler- und Schreiber-Amt an den Höfen, und
hatten dadurch die tägliche Gelegenheit, die
gnädigsten Herrn in ihrer ganzen schönen Natur
kennen zu lernen, und sie hernach in Stunden
der Einsamkeit nach Muſse zu conterfeyen und
nach ihrem wahren oder geglaubten Character
zu schildern. Wenn mehrere Regenten eines
Hauses einerley Nahmen führten, so wurden
sie durch Beynahmen von einander unterschie-
den; daher entstuhnden der Carl der Groſse, Carl
der Dicke, Carl der Kahlkopf, Ludwig der
Strenge, Ludwig der Faule, Ludwig der From-
me, der Teutsche, Ludwig der Müssiggänger,
Heinrich der Vogelfänger, Friedrich der Roth-
bart; und der hatte von Glück zu sagen, der
mit einer bloſsen cörperlichen Signatur davon
kam, ohne mit einem moralischen Stempel ge-
brandmarkt zu werden. Unlaugbar ist, daſs da-
bey viele Partheylichkeit mit untergelaufen ist,
und diejenigen Herrn, welche sich gegen die
Geistlichkeit am gefälligsten und freygebigsten
erwiesen, oft mit den zierlichsten Beynahmen
geschmückt wurden.

Weil in Deutschland insbesondere jedes Land
seine Clöster und jedes Haus seine Annalisten

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[111/0117] der Unwissenheit des Adels und der Layen das Canzler- und Schreiber-Amt an den Höfen, und hatten dadurch die tägliche Gelegenheit, die gnädigsten Herrn in ihrer ganzen schönen Natur kennen zu lernen, und sie hernach in Stunden der Einsamkeit nach Muſse zu conterfeyen und nach ihrem wahren oder geglaubten Character zu schildern. Wenn mehrere Regenten eines Hauses einerley Nahmen führten, so wurden sie durch Beynahmen von einander unterschie- den; daher entstuhnden der Carl der Groſse, Carl der Dicke, Carl der Kahlkopf, Ludwig der Strenge, Ludwig der Faule, Ludwig der From- me, der Teutsche, Ludwig der Müssiggänger, Heinrich der Vogelfänger, Friedrich der Roth- bart; und der hatte von Glück zu sagen, der mit einer bloſsen cörperlichen Signatur davon kam, ohne mit einem moralischen Stempel ge- brandmarkt zu werden. Unlaugbar ist, daſs da- bey viele Partheylichkeit mit untergelaufen ist, und diejenigen Herrn, welche sich gegen die Geistlichkeit am gefälligsten und freygebigsten erwiesen, oft mit den zierlichsten Beynahmen geschmückt wurden. Weil in Deutschland insbesondere jedes Land seine Clöster und jedes Haus seine Annalisten

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Zitationshilfe: Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 2. Zürich, 1796, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische02_1796/117>, abgerufen am 22.11.2024.