Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 1. Zürich, 1796.Alle geistliche Regenten, im Durchschnitt Es ist ein altes deutsches Sprüchwort: "Stren- Um so zu denken, zu leben und zu handeln, Alle geistliche Regenten, im Durchschnitt Es ist ein altes deutsches Sprüchwort: „Stren- Um so zu denken, zu leben und zu handeln, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0205" n="199"/> <p>Alle geistliche Regenten, im Durchschnitt<lb/> genommen, sind gebohrne Despoten, so weit<lb/> sie nach denen ihnen von den Capiteln gesez-<lb/> ten Gränzen können und dürfen; sie hangen<lb/> nicht an den zarten Banden der Menschheit,<lb/> welche die jeztlebende an ihre Nachkommen<lb/> bindet. Der Gedanke: Mit mir ist doch alles<lb/> aus! schwebt ihnen immer vor Augen; das blei-<lb/> bende Wohl ihres Volks rührt sie nur schwach;<lb/> sie sorgen nur vor Bereicherung und Versor-<lb/> gung der Familien, aus denen sie entsprossen<lb/> sind, oder werden der Raub eines Günstlings,<lb/> oder leben so drauf los, daſs sie noch verschul-<lb/> dete Lande und Cassen hinterlassen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Es ist ein altes deutsches Sprüchwort: „Stren-<lb/> ge Herrn regieren nicht lange„. Die Erfahrung<lb/> beweist aber dessen Unzuverläſsigkeit; und<lb/> nur aus der Geschichte dieses Jahrhunderts<lb/> könnte man 20. 30. 40. Beyspiele ausheben, daſs<lb/> just die strengsten und schlimmsten am längsten,<lb/> und die besten am kürzesten regiert haben.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p>Um so zu denken, zu leben und zu handeln,<lb/> muſs man in einer despotischen Verfassung auf-<lb/> gewachsen und gebildet worden seyn; einem<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [199/0205]
Alle geistliche Regenten, im Durchschnitt
genommen, sind gebohrne Despoten, so weit
sie nach denen ihnen von den Capiteln gesez-
ten Gränzen können und dürfen; sie hangen
nicht an den zarten Banden der Menschheit,
welche die jeztlebende an ihre Nachkommen
bindet. Der Gedanke: Mit mir ist doch alles
aus! schwebt ihnen immer vor Augen; das blei-
bende Wohl ihres Volks rührt sie nur schwach;
sie sorgen nur vor Bereicherung und Versor-
gung der Familien, aus denen sie entsprossen
sind, oder werden der Raub eines Günstlings,
oder leben so drauf los, daſs sie noch verschul-
dete Lande und Cassen hinterlassen.
Es ist ein altes deutsches Sprüchwort: „Stren-
ge Herrn regieren nicht lange„. Die Erfahrung
beweist aber dessen Unzuverläſsigkeit; und
nur aus der Geschichte dieses Jahrhunderts
könnte man 20. 30. 40. Beyspiele ausheben, daſs
just die strengsten und schlimmsten am längsten,
und die besten am kürzesten regiert haben.
Um so zu denken, zu leben und zu handeln,
muſs man in einer despotischen Verfassung auf-
gewachsen und gebildet worden seyn; einem
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