Der eingebildete und der würkliche Mangel traten in fürchterlicher Eintracht zusammen, um sein Gemüth mit Schrecken und Grauen vor der Zukunft zu erfüllen.
Er sahe nun keinen Ausweg aus diesem La¬ byrinthe, in welchs seine eigene Thorheit ihn geleitet hatte -- hier war nun die kahle öde Mauer, das täuschende Schauspiel war zu Ende.
Er eilte vors Thor hinaus, und ging in der Allee, wo er sich schon oft mit den angenehmsten Vorstellungen beschäftiget hatte, verzweiflungs¬ voll auf und nieder; die Menschen gingen kalt vor ihm vorbei; niemand wußte, daß er in die¬ sem Augenblick die einzige Hoffnung seines Le¬ bens verlohren hatte, und einer der verlassensten Menschen war.
Und sonderbar war es, daß gerade in die¬ sem allerverlassensten Zustande, sich ein unbe¬ kanntes Gefühl von Liebebedürfniß in ihm regte, da seine Verzweiflung in Mitleid mit seinem ei¬ genen Zustande sich verwandelte, und ihm nun ein Wesen fehlte, das dieses Mitleid mit ihm haben könnte.
4ter Theil. E
Der eingebildete und der wuͤrkliche Mangel traten in fuͤrchterlicher Eintracht zuſammen, um ſein Gemuͤth mit Schrecken und Grauen vor der Zukunft zu erfuͤllen.
Er ſahe nun keinen Ausweg aus dieſem La¬ byrinthe, in welchs ſeine eigene Thorheit ihn geleitet hatte — hier war nun die kahle oͤde Mauer, das taͤuſchende Schauſpiel war zu Ende.
Er eilte vors Thor hinaus, und ging in der Allee, wo er ſich ſchon oft mit den angenehmſten Vorſtellungen beſchaͤftiget hatte, verzweiflungs¬ voll auf und nieder; die Menſchen gingen kalt vor ihm vorbei; niemand wußte, daß er in die¬ ſem Augenblick die einzige Hoffnung ſeines Le¬ bens verlohren hatte, und einer der verlaſſenſten Menſchen war.
Und ſonderbar war es, daß gerade in die¬ ſem allerverlaſſenſten Zuſtande, ſich ein unbe¬ kanntes Gefuͤhl von Liebebeduͤrfniß in ihm regte, da ſeine Verzweiflung in Mitleid mit ſeinem ei¬ genen Zuſtande ſich verwandelte, und ihm nun ein Weſen fehlte, das dieſes Mitleid mit ihm haben koͤnnte.
4ter Theil. E
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Der eingebildete und der wuͤrkliche Mangel
traten in fuͤrchterlicher Eintracht zuſammen,
um ſein Gemuͤth mit Schrecken und Grauen vor
der Zukunft zu erfuͤllen.
Er ſahe nun keinen Ausweg aus dieſem La¬
byrinthe, in welchs ſeine eigene Thorheit ihn
geleitet hatte — hier war nun die kahle oͤde
Mauer, das taͤuſchende Schauſpiel war zu Ende.
Er eilte vors Thor hinaus, und ging in der
Allee, wo er ſich ſchon oft mit den angenehmſten
Vorſtellungen beſchaͤftiget hatte, verzweiflungs¬
voll auf und nieder; die Menſchen gingen kalt
vor ihm vorbei; niemand wußte, daß er in die¬
ſem Augenblick die einzige Hoffnung ſeines Le¬
bens verlohren hatte, und einer der verlaſſenſten
Menſchen war.
Und ſonderbar war es, daß gerade in die¬
ſem allerverlaſſenſten Zuſtande, ſich ein unbe¬
kanntes Gefuͤhl von Liebebeduͤrfniß in ihm regte,
da ſeine Verzweiflung in Mitleid mit ſeinem ei¬
genen Zuſtande ſich verwandelte, und ihm nun
ein Weſen fehlte, das dieſes Mitleid mit ihm
haben koͤnnte.
4ter Theil. E
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/79>, abgerufen am 02.08.2024.
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