Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

Der eingebildete und der würkliche Mangel
traten in fürchterlicher Eintracht zusammen,
um sein Gemüth mit Schrecken und Grauen vor
der Zukunft zu erfüllen.

Er sahe nun keinen Ausweg aus diesem La¬
byrinthe, in welchs seine eigene Thorheit ihn
geleitet hatte -- hier war nun die kahle öde
Mauer, das täuschende Schauspiel war zu Ende.

Er eilte vors Thor hinaus, und ging in der
Allee, wo er sich schon oft mit den angenehmsten
Vorstellungen beschäftiget hatte, verzweiflungs¬
voll auf und nieder; die Menschen gingen kalt
vor ihm vorbei; niemand wußte, daß er in die¬
sem Augenblick die einzige Hoffnung seines Le¬
bens verlohren hatte, und einer der verlassensten
Menschen war.

Und sonderbar war es, daß gerade in die¬
sem allerverlassensten Zustande, sich ein unbe¬
kanntes Gefühl von Liebebedürfniß in ihm regte,
da seine Verzweiflung in Mitleid mit seinem ei¬
genen Zustande sich verwandelte, und ihm nun
ein Wesen fehlte, das dieses Mitleid mit ihm
haben könnte.

4ter Theil. E

Der eingebildete und der wuͤrkliche Mangel
traten in fuͤrchterlicher Eintracht zuſammen,
um ſein Gemuͤth mit Schrecken und Grauen vor
der Zukunft zu erfuͤllen.

Er ſahe nun keinen Ausweg aus dieſem La¬
byrinthe, in welchs ſeine eigene Thorheit ihn
geleitet hatte — hier war nun die kahle oͤde
Mauer, das taͤuſchende Schauſpiel war zu Ende.

Er eilte vors Thor hinaus, und ging in der
Allee, wo er ſich ſchon oft mit den angenehmſten
Vorſtellungen beſchaͤftiget hatte, verzweiflungs¬
voll auf und nieder; die Menſchen gingen kalt
vor ihm vorbei; niemand wußte, daß er in die¬
ſem Augenblick die einzige Hoffnung ſeines Le¬
bens verlohren hatte, und einer der verlaſſenſten
Menſchen war.

Und ſonderbar war es, daß gerade in die¬
ſem allerverlaſſenſten Zuſtande, ſich ein unbe¬
kanntes Gefuͤhl von Liebebeduͤrfniß in ihm regte,
da ſeine Verzweiflung in Mitleid mit ſeinem ei¬
genen Zuſtande ſich verwandelte, und ihm nun
ein Weſen fehlte, das dieſes Mitleid mit ihm
haben koͤnnte.

4ter Theil. E
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0079" n="65"/>
      <p>Der eingebildete und der wu&#x0364;rkliche Mangel<lb/>
traten in fu&#x0364;rchterlicher Eintracht zu&#x017F;ammen,<lb/>
um &#x017F;ein Gemu&#x0364;th mit Schrecken und Grauen vor<lb/>
der Zukunft zu erfu&#x0364;llen.</p><lb/>
      <p>Er &#x017F;ahe nun keinen Ausweg aus die&#x017F;em La¬<lb/>
byrinthe, in welchs &#x017F;eine eigene Thorheit ihn<lb/>
geleitet hatte &#x2014; hier war nun die kahle o&#x0364;de<lb/>
Mauer, das ta&#x0364;u&#x017F;chende Schau&#x017F;piel war zu Ende.</p><lb/>
      <p>Er eilte vors Thor hinaus, und ging in der<lb/>
Allee, wo er &#x017F;ich &#x017F;chon oft mit den angenehm&#x017F;ten<lb/>
Vor&#x017F;tellungen be&#x017F;cha&#x0364;ftiget hatte, verzweiflungs¬<lb/>
voll auf und nieder; die Men&#x017F;chen gingen kalt<lb/>
vor ihm vorbei; niemand wußte, daß er in die¬<lb/>
&#x017F;em Augenblick die einzige Hoffnung &#x017F;eines Le¬<lb/>
bens verlohren hatte, und einer der verla&#x017F;&#x017F;en&#x017F;ten<lb/>
Men&#x017F;chen war.</p><lb/>
      <p>Und &#x017F;onderbar war es, daß gerade in die¬<lb/>
&#x017F;em allerverla&#x017F;&#x017F;en&#x017F;ten Zu&#x017F;tande, &#x017F;ich ein unbe¬<lb/>
kanntes Gefu&#x0364;hl von Liebebedu&#x0364;rfniß in ihm regte,<lb/>
da &#x017F;eine Verzweiflung in Mitleid mit &#x017F;einem ei¬<lb/>
genen Zu&#x017F;tande &#x017F;ich verwandelte, und ihm nun<lb/>
ein We&#x017F;en fehlte, das die&#x017F;es Mitleid mit ihm<lb/>
haben ko&#x0364;nnte.</p><lb/>
      <fw place="bottom" type="sig">4ter <hi rendition="#fr">Theil</hi>. E<lb/></fw>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0079] Der eingebildete und der wuͤrkliche Mangel traten in fuͤrchterlicher Eintracht zuſammen, um ſein Gemuͤth mit Schrecken und Grauen vor der Zukunft zu erfuͤllen. Er ſahe nun keinen Ausweg aus dieſem La¬ byrinthe, in welchs ſeine eigene Thorheit ihn geleitet hatte — hier war nun die kahle oͤde Mauer, das taͤuſchende Schauſpiel war zu Ende. Er eilte vors Thor hinaus, und ging in der Allee, wo er ſich ſchon oft mit den angenehmſten Vorſtellungen beſchaͤftiget hatte, verzweiflungs¬ voll auf und nieder; die Menſchen gingen kalt vor ihm vorbei; niemand wußte, daß er in die¬ ſem Augenblick die einzige Hoffnung ſeines Le¬ bens verlohren hatte, und einer der verlaſſenſten Menſchen war. Und ſonderbar war es, daß gerade in die¬ ſem allerverlaſſenſten Zuſtande, ſich ein unbe¬ kanntes Gefuͤhl von Liebebeduͤrfniß in ihm regte, da ſeine Verzweiflung in Mitleid mit ſeinem ei¬ genen Zuſtande ſich verwandelte, und ihm nun ein Weſen fehlte, das dieſes Mitleid mit ihm haben koͤnnte. 4ter Theil. E

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/79
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/79>, abgerufen am 23.11.2024.