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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

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schen, entfernt zu seyn, um nur solche Briefe
von Reisern zu erhalten.

Und nun war auf einmal, der beinahe zur
Ruhe gebrachte Dichtungstrieb bei Reisern wieder
angefacht. Er suchte nun zuerst sein Gedicht über
die Schöpfung vollends durch das Chaos durch¬
zuführen, und hub mit neuer Quaal an, in der
Darstellung von gräßlichen Widersprüchen und
ungeheuren labyrinthischen Verwickelungen der
Gedanken sich zu verlieren, bis endlich folgende
beide Hexameter, die er aus der Bibel nahm,
ihn aus einer Hölle von Begriffen erlößten.

Auf dem stillen Gewässer rauschte die
Stimme des Ewigen

Sanft daher, und sprach: es werde Licht!
und es ward Licht.

Merkwürdig war es, daß ihm nun die Lust ver¬
gieng, dieß Gedicht weiter fortzuführen, sobald
der Stoff nicht fürchterlich mehr war. Er suchte
also nun einen Stoff aus, der immer fürchter¬
lich bleiben mußte, und den er in mehreren Ge¬
sängen bearbeiten wollte; was konnte dieß wohl
anders seyn, als der Tod selber!

ſchen, entfernt zu ſeyn, um nur ſolche Briefe
von Reiſern zu erhalten.

Und nun war auf einmal, der beinahe zur
Ruhe gebrachte Dichtungstrieb bei Reiſern wieder
angefacht. Er ſuchte nun zuerſt ſein Gedicht uͤber
die Schoͤpfung vollends durch das Chaos durch¬
zufuͤhren, und hub mit neuer Quaal an, in der
Darſtellung von graͤßlichen Widerſpruͤchen und
ungeheuren labyrinthiſchen Verwickelungen der
Gedanken ſich zu verlieren, bis endlich folgende
beide Hexameter, die er aus der Bibel nahm,
ihn aus einer Hoͤlle von Begriffen erloͤßten.

Auf dem ſtillen Gewaͤſſer rauſchte die
Stimme des Ewigen

Sanft daher, und ſprach: es werde Licht!
und es ward Licht.

Merkwuͤrdig war es, daß ihm nun die Luſt ver¬
gieng, dieß Gedicht weiter fortzufuͤhren, ſobald
der Stoff nicht fuͤrchterlich mehr war. Er ſuchte
alſo nun einen Stoff aus, der immer fuͤrchter¬
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ſaͤngen bearbeiten wollte; was konnte dieß wohl
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[184/0198] ſchen, entfernt zu ſeyn, um nur ſolche Briefe von Reiſern zu erhalten. Und nun war auf einmal, der beinahe zur Ruhe gebrachte Dichtungstrieb bei Reiſern wieder angefacht. Er ſuchte nun zuerſt ſein Gedicht uͤber die Schoͤpfung vollends durch das Chaos durch¬ zufuͤhren, und hub mit neuer Quaal an, in der Darſtellung von graͤßlichen Widerſpruͤchen und ungeheuren labyrinthiſchen Verwickelungen der Gedanken ſich zu verlieren, bis endlich folgende beide Hexameter, die er aus der Bibel nahm, ihn aus einer Hoͤlle von Begriffen erloͤßten. Auf dem ſtillen Gewaͤſſer rauſchte die Stimme des Ewigen Sanft daher, und ſprach: es werde Licht! und es ward Licht. Merkwuͤrdig war es, daß ihm nun die Luſt ver¬ gieng, dieß Gedicht weiter fortzufuͤhren, ſobald der Stoff nicht fuͤrchterlich mehr war. Er ſuchte alſo nun einen Stoff aus, der immer fuͤrchter¬ lich bleiben mußte, und den er in mehreren Ge¬ ſaͤngen bearbeiten wollte; was konnte dieß wohl anders ſeyn, als der Tod ſelber!

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/198>, abgerufen am 27.04.2024.