dens sanft hinüber schlummern. Dabei heftete sich immer sein Blick auf den blassen Wider¬ schein von den hohen Fenstern, und dieser war es vorzüglich, welcher ihn in eine neue Welt zu versetzen schien: es war dieß eine majestätische Schlafkammer, in welcher er seine Augen auf¬ schlug, nachdem er wild die Nacht durchträumt hatte.
Denn wie Träume eines Fieberkranken, wa¬ ren freilich solche Zeitpunkte in Reisers Leben, aber sie waren doch einmal darin, und hatten ihren Grund in seinen Schicksalen von seiner Kindheit an. Denn war es nicht immer Selbst¬ verachtung, zurückgedrängtes Selbstgefühl, wo¬ durch er in einen solchen Zustand versetzt wurde? Und wurde nicht diese Selbstverachtung durch den immerwährenden Druck von außen bei ihm bewirkt, woran freilich mehr der Zufall schuld war, als die Menschen.
Als der Tag angebrochen war, kehrte Rei¬ ser mit ruhigerm Gemüthe aus dem Dom zurück, und begegnete auf der Straße seinem Freunde N. . ., der schon früh ein Collegium besuchte, und welcher erschrak, da er Reisern ins Gesicht
dens ſanft hinuͤber ſchlummern. Dabei heftete ſich immer ſein Blick auf den blaſſen Wider¬ ſchein von den hohen Fenſtern, und dieſer war es vorzuͤglich, welcher ihn in eine neue Welt zu verſetzen ſchien: es war dieß eine majeſtaͤtiſche Schlafkammer, in welcher er ſeine Augen auf¬ ſchlug, nachdem er wild die Nacht durchtraͤumt hatte.
Denn wie Traͤume eines Fieberkranken, wa¬ ren freilich ſolche Zeitpunkte in Reiſers Leben, aber ſie waren doch einmal darin, und hatten ihren Grund in ſeinen Schickſalen von ſeiner Kindheit an. Denn war es nicht immer Selbſt¬ verachtung, zuruͤckgedraͤngtes Selbſtgefuͤhl, wo¬ durch er in einen ſolchen Zuſtand verſetzt wurde? Und wurde nicht dieſe Selbſtverachtung durch den immerwaͤhrenden Druck von außen bei ihm bewirkt, woran freilich mehr der Zufall ſchuld war, als die Menſchen.
Als der Tag angebrochen war, kehrte Rei¬ ſer mit ruhigerm Gemuͤthe aus dem Dom zuruͤck, und begegnete auf der Straße ſeinem Freunde N. . ., der ſchon fruͤh ein Collegium beſuchte, und welcher erſchrak, da er Reiſern ins Geſicht
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dens ſanft hinuͤber ſchlummern. Dabei heftete
ſich immer ſein Blick auf den blaſſen Wider¬
ſchein von den hohen Fenſtern, und dieſer war
es vorzuͤglich, welcher ihn in eine neue Welt
zu verſetzen ſchien: es war dieß eine majeſtaͤtiſche
Schlafkammer, in welcher er ſeine Augen auf¬
ſchlug, nachdem er wild die Nacht durchtraͤumt
hatte.
Denn wie Traͤume eines Fieberkranken, wa¬
ren freilich ſolche Zeitpunkte in Reiſers Leben,
aber ſie waren doch einmal darin, und hatten
ihren Grund in ſeinen Schickſalen von ſeiner
Kindheit an. Denn war es nicht immer Selbſt¬
verachtung, zuruͤckgedraͤngtes Selbſtgefuͤhl, wo¬
durch er in einen ſolchen Zuſtand verſetzt wurde?
Und wurde nicht dieſe Selbſtverachtung durch
den immerwaͤhrenden Druck von außen bei ihm
bewirkt, woran freilich mehr der Zufall ſchuld
war, als die Menſchen.
Als der Tag angebrochen war, kehrte Rei¬
ſer mit ruhigerm Gemuͤthe aus dem Dom zuruͤck,
und begegnete auf der Straße ſeinem Freunde
N. . ., der ſchon fruͤh ein Collegium beſuchte,
und welcher erſchrak, da er Reiſern ins Geſicht
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/182>, abgerufen am 07.07.2024.
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