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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

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nicht eher, bis Reiser ihm versprochen hatte,
wenigstens heute und morgen noch nicht ab¬
zureisen.

Diese Theilnehmung an seinem Schicksale
war nun zwar für Reisern wieder sehr schmei¬
chelhaft; sobald er sich aber wieder allein fand,
verfolgte der Gedanke des Lästigseyns in seiner
nächsten Umgebung ihn wie ein quälender Geist,
er hatte nirgends Ruhe noch Rast; streifte in
den einsamsten Gegenden von Erfurt umher, in
der Gegend des Karthäuserklosters, wohin er
sich nun im Ernst, wie nach einem sichern Zu¬
fluchtsorte sehnte, und wehmüthig nach den stil¬
len Mauern hinüberblickte.

Dann irrte er weiter umher, bis es Abend
wurde, wo der Himmel sich mit Wolken über¬
zog, und ein starker Regen fiel, der ihn bald
bis auf die Haut durchnetzte. Der Fieberfrost,
welcher sich nun zu den innern Unruhen seines
Gemüths gesellte, trieb ihn in Sturm und Re¬
gen umher, bei altem Gemäuer und durch ein¬
same öde Straßen; denn in seine bisherige Woh¬
nung zurückzukehren, davon konnte er den
Gedanken nicht ertragen.

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nicht eher, bis Reiſer ihm verſprochen hatte,
wenigſtens heute und morgen noch nicht ab¬
zureiſen.

Dieſe Theilnehmung an ſeinem Schickſale
war nun zwar fuͤr Reiſern wieder ſehr ſchmei¬
chelhaft; ſobald er ſich aber wieder allein fand,
verfolgte der Gedanke des Laͤſtigſeyns in ſeiner
naͤchſten Umgebung ihn wie ein quaͤlender Geiſt,
er hatte nirgends Ruhe noch Raſt; ſtreifte in
den einſamſten Gegenden von Erfurt umher, in
der Gegend des Karthaͤuſerkloſters, wohin er
ſich nun im Ernſt, wie nach einem ſichern Zu¬
fluchtsorte ſehnte, und wehmuͤthig nach den ſtil¬
len Mauern hinuͤberblickte.

Dann irrte er weiter umher, bis es Abend
wurde, wo der Himmel ſich mit Wolken uͤber¬
zog, und ein ſtarker Regen fiel, der ihn bald
bis auf die Haut durchnetzte. Der Fieberfroſt,
welcher ſich nun zu den innern Unruhen ſeines
Gemuͤths geſellte, trieb ihn in Sturm und Re¬
gen umher, bei altem Gemaͤuer und durch ein¬
ſame oͤde Straßen; denn in ſeine bisherige Woh¬
nung zuruͤckzukehren, davon konnte er den
Gedanken nicht ertragen.

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[165/0179] nicht eher, bis Reiſer ihm verſprochen hatte, wenigſtens heute und morgen noch nicht ab¬ zureiſen. Dieſe Theilnehmung an ſeinem Schickſale war nun zwar fuͤr Reiſern wieder ſehr ſchmei¬ chelhaft; ſobald er ſich aber wieder allein fand, verfolgte der Gedanke des Laͤſtigſeyns in ſeiner naͤchſten Umgebung ihn wie ein quaͤlender Geiſt, er hatte nirgends Ruhe noch Raſt; ſtreifte in den einſamſten Gegenden von Erfurt umher, in der Gegend des Karthaͤuſerkloſters, wohin er ſich nun im Ernſt, wie nach einem ſichern Zu¬ fluchtsorte ſehnte, und wehmuͤthig nach den ſtil¬ len Mauern hinuͤberblickte. Dann irrte er weiter umher, bis es Abend wurde, wo der Himmel ſich mit Wolken uͤber¬ zog, und ein ſtarker Regen fiel, der ihn bald bis auf die Haut durchnetzte. Der Fieberfroſt, welcher ſich nun zu den innern Unruhen ſeines Gemuͤths geſellte, trieb ihn in Sturm und Re¬ gen umher, bei altem Gemaͤuer und durch ein¬ ſame oͤde Straßen; denn in ſeine bisherige Woh¬ nung zuruͤckzukehren, davon konnte er den Gedanken nicht ertragen. L 2

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/179>, abgerufen am 27.04.2024.