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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

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So ist die Wahl des Schrecklichen ebenfalls
ein schlimmes Zeichen, wenn das vermeinte poe¬
tische Genie gleich zuerst darauf verfällt; denn
freilich macht sich hier das Poetische auch schon
von selber, und die innere Leerheit und Unfrucht¬
barkeit soll durch den äußern Stoff ersetzt werden.

Dieß war der Fall bei Reisern schon in H. . . .
auf der Schule, wo er Meineid, Blutschande
und Vatermord, in einem Trauerspiele zusam¬
menzuhäufen suchte, das der Meineid heißen
sollte, und wobei er sich dann immer die wirk¬
liche Aufführung des Stücks, und zugleich den
Effekt
dachte, den es auf die Zuschauer machen
würde.

Dieß zweite Zeichen sollte ebenfalls jeden,
der sich wegen seines poetischen Berufes sorgfäl¬
tig prüft, schon abschreckend seyn. Denn der
wahre Dichter und Künstler findet und hofft seine
Belohnung nicht erst in dem Effekt, den sein
Werk machen wird, sondern er findet in der Ar¬
beit selbst Vergnügen, und würde dieselbe nicht
für verloren halten, wenn sie auch niemanden zu
Gesicht kommen sollte. Sein Werk zieht ihn un¬
willkührlich an sich, in ihm selber liegt die Kraft

4ter Theil. L

So iſt die Wahl des Schrecklichen ebenfalls
ein ſchlimmes Zeichen, wenn das vermeinte poe¬
tiſche Genie gleich zuerſt darauf verfaͤllt; denn
freilich macht ſich hier das Poetiſche auch ſchon
von ſelber, und die innere Leerheit und Unfrucht¬
barkeit ſoll durch den aͤußern Stoff erſetzt werden.

Dieß war der Fall bei Reiſern ſchon in H. . . .
auf der Schule, wo er Meineid, Blutſchande
und Vatermord, in einem Trauerſpiele zuſam¬
menzuhaͤufen ſuchte, das der Meineid heißen
ſollte, und wobei er ſich dann immer die wirk¬
liche Auffuͤhrung des Stuͤcks, und zugleich den
Effekt
dachte, den es auf die Zuſchauer machen
wuͤrde.

Dieß zweite Zeichen ſollte ebenfalls jeden,
der ſich wegen ſeines poetiſchen Berufes ſorgfaͤl¬
tig pruͤft, ſchon abſchreckend ſeyn. Denn der
wahre Dichter und Kuͤnſtler findet und hofft ſeine
Belohnung nicht erſt in dem Effekt, den ſein
Werk machen wird, ſondern er findet in der Ar¬
beit ſelbſt Vergnuͤgen, und wuͤrde dieſelbe nicht
fuͤr verloren halten, wenn ſie auch niemanden zu
Geſicht kommen ſollte. Sein Werk zieht ihn un¬
willkuͤhrlich an ſich, in ihm ſelber liegt die Kraft

4ter Theil. L
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[161/0175] So iſt die Wahl des Schrecklichen ebenfalls ein ſchlimmes Zeichen, wenn das vermeinte poe¬ tiſche Genie gleich zuerſt darauf verfaͤllt; denn freilich macht ſich hier das Poetiſche auch ſchon von ſelber, und die innere Leerheit und Unfrucht¬ barkeit ſoll durch den aͤußern Stoff erſetzt werden. Dieß war der Fall bei Reiſern ſchon in H. . . . auf der Schule, wo er Meineid, Blutſchande und Vatermord, in einem Trauerſpiele zuſam¬ menzuhaͤufen ſuchte, das der Meineid heißen ſollte, und wobei er ſich dann immer die wirk¬ liche Auffuͤhrung des Stuͤcks, und zugleich den Effekt dachte, den es auf die Zuſchauer machen wuͤrde. Dieß zweite Zeichen ſollte ebenfalls jeden, der ſich wegen ſeines poetiſchen Berufes ſorgfaͤl¬ tig pruͤft, ſchon abſchreckend ſeyn. Denn der wahre Dichter und Kuͤnſtler findet und hofft ſeine Belohnung nicht erſt in dem Effekt, den ſein Werk machen wird, ſondern er findet in der Ar¬ beit ſelbſt Vergnuͤgen, und wuͤrde dieſelbe nicht fuͤr verloren halten, wenn ſie auch niemanden zu Geſicht kommen ſollte. Sein Werk zieht ihn un¬ willkuͤhrlich an ſich, in ihm ſelber liegt die Kraft 4ter Theil. L

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/175>, abgerufen am 27.04.2024.