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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

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Dieß war der Fall bei Reisern, der die be¬
sten Stunden seines Lebens durch mißlungene
Versuche trübete, durch unnützes Streben,
nach einem täuschenden Blendwerke, daß immer
vor seiner Seele schwebte, und wenn er es nun
zu umfassen glaubte, plötzlich in Rauch und
Nebel verschwand.

Wenn nun je der Reiz des Poetischen bei
einem Menschen mit seinem Leben und seinen
Schicksalen kontrastirte, so war es bei Reisern,
der von seiner Kindheit an in einer Sphäre
war, die ihn bis zum Staube niederdrückte,
und wo er bis zum Poetischen zu gelangen, im¬
mer erst eine Stuffe der Menschenbildung über¬
springen mußte, ohne sich auf der folgenden er¬
halten zu können.

So gieng es ihm nun jetzt wieder in seiner
äußerlichen Lage; er hatte eigentlich keine Stube
für sich, sondern mußte, da es nun anfieng
kälter zu werden, mit in der gemeinschaftlichen
Stube wohnen, deren Einwohner, wenn aus¬
gefegt wurde, so lange herausgehen mußten.

In dieser Stube wohnte die ganze Familie,
nebst Reisern und noch einem Studenten, und

Dieß war der Fall bei Reiſern, der die be¬
ſten Stunden ſeines Lebens durch mißlungene
Verſuche truͤbete, durch unnuͤtzes Streben,
nach einem taͤuſchenden Blendwerke, daß immer
vor ſeiner Seele ſchwebte, und wenn er es nun
zu umfaſſen glaubte, ploͤtzlich in Rauch und
Nebel verſchwand.

Wenn nun je der Reiz des Poetiſchen bei
einem Menſchen mit ſeinem Leben und ſeinen
Schickſalen kontraſtirte, ſo war es bei Reiſern,
der von ſeiner Kindheit an in einer Sphaͤre
war, die ihn bis zum Staube niederdruͤckte,
und wo er bis zum Poetiſchen zu gelangen, im¬
mer erſt eine Stuffe der Menſchenbildung uͤber¬
ſpringen mußte, ohne ſich auf der folgenden er¬
halten zu koͤnnen.

So gieng es ihm nun jetzt wieder in ſeiner
aͤußerlichen Lage; er hatte eigentlich keine Stube
fuͤr ſich, ſondern mußte, da es nun anfieng
kaͤlter zu werden, mit in der gemeinſchaftlichen
Stube wohnen, deren Einwohner, wenn aus¬
gefegt wurde, ſo lange herausgehen mußten.

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[159/0173] Dieß war der Fall bei Reiſern, der die be¬ ſten Stunden ſeines Lebens durch mißlungene Verſuche truͤbete, durch unnuͤtzes Streben, nach einem taͤuſchenden Blendwerke, daß immer vor ſeiner Seele ſchwebte, und wenn er es nun zu umfaſſen glaubte, ploͤtzlich in Rauch und Nebel verſchwand. Wenn nun je der Reiz des Poetiſchen bei einem Menſchen mit ſeinem Leben und ſeinen Schickſalen kontraſtirte, ſo war es bei Reiſern, der von ſeiner Kindheit an in einer Sphaͤre war, die ihn bis zum Staube niederdruͤckte, und wo er bis zum Poetiſchen zu gelangen, im¬ mer erſt eine Stuffe der Menſchenbildung uͤber¬ ſpringen mußte, ohne ſich auf der folgenden er¬ halten zu koͤnnen. So gieng es ihm nun jetzt wieder in ſeiner aͤußerlichen Lage; er hatte eigentlich keine Stube fuͤr ſich, ſondern mußte, da es nun anfieng kaͤlter zu werden, mit in der gemeinſchaftlichen Stube wohnen, deren Einwohner, wenn aus¬ gefegt wurde, ſo lange herausgehen mußten. In dieſer Stube wohnte die ganze Familie, nebſt Reiſern und noch einem Studenten, und

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/173>, abgerufen am 27.04.2024.