gerechnet. -- Aber sein Freund war ein strenger und unpartheiischer Richter, der nicht leicht einen matten Gedanken, einen gesuchten Reim, oder ein Flickwort ungeahndet ließ. -- Besonders machte er sich über eine Stelle in Anton Reisers Gedicht lustig, die hieß:
So wechselt Lust und Schmerz im ganzen Leben ab, Und selbst das Leben sinkt ins stille kühle Grab --
Philipp Reiser konnte nicht aufhören, über diese Stelle, die er in einem komischen Tone de¬ klamirte, seinen Witz spielen zu lassen. -- Er nannte seinen Freund seinen lieben Hans Sachs -- und machte ihm mehr dergleichen Lobsprüche, die eben nicht allzuaufmunternd wa¬ ren. -- Indes ließ er ihn doch nicht ganz sinken -- sondern hob einige erträgliche Stellen aus dem Gedicht heraus, denen er denn seinen Bey¬ fall nicht ganz versagte. --
Durch eine solche wechselseitige Mittheilung und fruchtbare Kritik, wurde nun das Band zwischen diesen beiden Freunden immer fester ge¬
gerechnet. — Aber ſein Freund war ein ſtrenger und unpartheiiſcher Richter, der nicht leicht einen matten Gedanken, einen geſuchten Reim, oder ein Flickwort ungeahndet ließ. — Beſonders machte er ſich uͤber eine Stelle in Anton Reiſers Gedicht luſtig, die hieß:
So wechſelt Luſt und Schmerz im ganzen Leben ab, Und ſelbſt das Leben ſinkt ins ſtille kuͤhle Grab —
Philipp Reiſer konnte nicht aufhoͤren, uͤber dieſe Stelle, die er in einem komiſchen Tone de¬ klamirte, ſeinen Witz ſpielen zu laſſen. — Er nannte ſeinen Freund ſeinen lieben Hans Sachs — und machte ihm mehr dergleichen Lobſpruͤche, die eben nicht allzuaufmunternd wa¬ ren. — Indes ließ er ihn doch nicht ganz ſinken — ſondern hob einige ertraͤgliche Stellen aus dem Gedicht heraus, denen er denn ſeinen Bey¬ fall nicht ganz verſagte. —
Durch eine ſolche wechſelſeitige Mittheilung und fruchtbare Kritik, wurde nun das Band zwiſchen dieſen beiden Freunden immer feſter ge¬
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[78/0088]
gerechnet. — Aber ſein Freund war ein ſtrenger
und unpartheiiſcher Richter, der nicht leicht einen
matten Gedanken, einen geſuchten Reim, oder
ein Flickwort ungeahndet ließ. — Beſonders
machte er ſich uͤber eine Stelle in Anton Reiſers
Gedicht luſtig, die hieß:
So wechſelt Luſt und Schmerz im ganzen
Leben ab,
Und ſelbſt das Leben ſinkt ins ſtille kuͤhle
Grab —
Philipp Reiſer konnte nicht aufhoͤren, uͤber
dieſe Stelle, die er in einem komiſchen Tone de¬
klamirte, ſeinen Witz ſpielen zu laſſen. — Er
nannte ſeinen Freund ſeinen lieben Hans
Sachs — und machte ihm mehr dergleichen
Lobſpruͤche, die eben nicht allzuaufmunternd wa¬
ren. — Indes ließ er ihn doch nicht ganz ſinken
— ſondern hob einige ertraͤgliche Stellen aus
dem Gedicht heraus, denen er denn ſeinen Bey¬
fall nicht ganz verſagte. —
Durch eine ſolche wechſelſeitige Mittheilung
und fruchtbare Kritik, wurde nun das Band
zwiſchen dieſen beiden Freunden immer feſter ge¬
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/88>, abgerufen am 16.02.2025.
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