Durch diß Gespräch mit W..., da er in kur¬ zem seine Situation überdachte, war sein Herz ein¬ mal lebhaften Eindrücken geöfnet worden -- und nun fügte es sich gerade, daß eben der V..., mit dem er einst nebst G... den sterbenden Sokrates aufgeführt hatte, ihn zum Gegenstande seines groben Witzes machte, und durch allerlei Anspie¬ lungen ihn bei seinen Mitschülern wieder lächer¬ lich zu machen suchte, die denn auch bald mit einstimmten, so daß Reiser fast eine halbe Stunde lang das Ziel ihrer witzigen Einfälle war. --
Er sagte auf alles diß kein Wort, und kränkte sich, indem er einsam vor sich weg ging, inner¬ lich darüber; und ob er sich gleich bemühte, seine Kränkung in Verachtung zu verwandeln, so wollte es ihm doch nicht recht damit gelingen; bis er sich endlich unvermerkt in eine bittere menschenfeindliche Laune hinein phantasirte, die durch nichts, als das Andenken an seinen Phi¬ lipp Reiser wieder gemildert wurde. -- Da nun auch der Vorsatz, seine Empfindungen und Ge¬ danken an ihn niederzuschreiben, herrschend ge¬
Durch diß Geſpraͤch mit W..., da er in kur¬ zem ſeine Situation uͤberdachte, war ſein Herz ein¬ mal lebhaften Eindruͤcken geoͤfnet worden — und nun fuͤgte es ſich gerade, daß eben der V..., mit dem er einſt nebſt G... den ſterbenden Sokrates aufgefuͤhrt hatte, ihn zum Gegenſtande ſeines groben Witzes machte, und durch allerlei Anſpie¬ lungen ihn bei ſeinen Mitſchuͤlern wieder laͤcher¬ lich zu machen ſuchte, die denn auch bald mit einſtimmten, ſo daß Reiſer faſt eine halbe Stunde lang das Ziel ihrer witzigen Einfaͤlle war. —
Er ſagte auf alles diß kein Wort, und kraͤnkte ſich, indem er einſam vor ſich weg ging, inner¬ lich daruͤber; und ob er ſich gleich bemuͤhte, ſeine Kraͤnkung in Verachtung zu verwandeln, ſo wollte es ihm doch nicht recht damit gelingen; bis er ſich endlich unvermerkt in eine bittere menſchenfeindliche Laune hinein phantaſirte, die durch nichts, als das Andenken an ſeinen Phi¬ lipp Reiſer wieder gemildert wurde. — Da nun auch der Vorſatz, ſeine Empfindungen und Ge¬ danken an ihn niederzuſchreiben, herrſchend ge¬
D 5
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0067"n="57"/>
geſetzt waͤre, einigermaßen ſchadlos halten<lb/>
koͤnnte. —</p><lb/><p>Durch diß Geſpraͤch mit W..., da er in kur¬<lb/>
zem ſeine Situation uͤberdachte, war ſein Herz ein¬<lb/>
mal lebhaften Eindruͤcken geoͤfnet worden — und<lb/>
nun fuͤgte es ſich gerade, daß eben der V..., mit<lb/>
dem er einſt nebſt G... den ſterbenden Sokrates<lb/>
aufgefuͤhrt hatte, ihn zum Gegenſtande ſeines<lb/>
groben Witzes machte, und durch allerlei Anſpie¬<lb/>
lungen ihn bei ſeinen Mitſchuͤlern wieder laͤcher¬<lb/>
lich zu machen ſuchte, die denn auch bald mit<lb/>
einſtimmten, ſo daß Reiſer faſt eine halbe Stunde<lb/>
lang das Ziel ihrer witzigen Einfaͤlle war. —</p><lb/><p>Er ſagte auf alles diß kein Wort, und kraͤnkte<lb/>ſich, indem er einſam vor ſich weg ging, inner¬<lb/>
lich daruͤber; und ob er ſich gleich bemuͤhte, ſeine<lb/>
Kraͤnkung in Verachtung zu verwandeln, ſo<lb/>
wollte es ihm doch nicht recht damit gelingen;<lb/>
bis er ſich endlich unvermerkt in eine bittere<lb/>
menſchenfeindliche Laune hinein phantaſirte, die<lb/>
durch nichts, als das Andenken an ſeinen Phi¬<lb/>
lipp Reiſer wieder gemildert wurde. — Da nun<lb/>
auch der Vorſatz, ſeine Empfindungen und Ge¬<lb/>
danken an ihn niederzuſchreiben, herrſchend ge¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">D 5<lb/></fw></p></body></text></TEI>
[57/0067]
geſetzt waͤre, einigermaßen ſchadlos halten
koͤnnte. —
Durch diß Geſpraͤch mit W..., da er in kur¬
zem ſeine Situation uͤberdachte, war ſein Herz ein¬
mal lebhaften Eindruͤcken geoͤfnet worden — und
nun fuͤgte es ſich gerade, daß eben der V..., mit
dem er einſt nebſt G... den ſterbenden Sokrates
aufgefuͤhrt hatte, ihn zum Gegenſtande ſeines
groben Witzes machte, und durch allerlei Anſpie¬
lungen ihn bei ſeinen Mitſchuͤlern wieder laͤcher¬
lich zu machen ſuchte, die denn auch bald mit
einſtimmten, ſo daß Reiſer faſt eine halbe Stunde
lang das Ziel ihrer witzigen Einfaͤlle war. —
Er ſagte auf alles diß kein Wort, und kraͤnkte
ſich, indem er einſam vor ſich weg ging, inner¬
lich daruͤber; und ob er ſich gleich bemuͤhte, ſeine
Kraͤnkung in Verachtung zu verwandeln, ſo
wollte es ihm doch nicht recht damit gelingen;
bis er ſich endlich unvermerkt in eine bittere
menſchenfeindliche Laune hinein phantaſirte, die
durch nichts, als das Andenken an ſeinen Phi¬
lipp Reiſer wieder gemildert wurde. — Da nun
auch der Vorſatz, ſeine Empfindungen und Ge¬
danken an ihn niederzuſchreiben, herrſchend ge¬
D 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/67>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.