gibt, auf der Welt mehr umher geht, oder nicht! -- Denn er konnte sich nicht enthalten, sich immer an den Platz der zerstückten und in Stücken auf das Rad gewundenen hingerichteten Missethäter zu stellen -- und dachte dabei, was schon Salomo gedacht hat: Der Mensch ist wie das Vieh; wie das Vieh stirbt, so stirbt er auch. --
Wenn er von dieser Zeit an ein Thier schlach¬ ten sahe, so hielt er sich immer in Gedanken da¬ mit zusammen -- und da er es bei dem Schläch¬ ter auch so oft zu sehen Gelegenheit hatte, so ging eine ganze Zeitlang sein bloßes Denken da¬ hin -- den Unterschied zwischen sich und einem solchen Thiere, das geschlachtet wird, auszumit¬ teln. -- Er stand oft Stundenlang, und sah so ein Kalb, mit Kopf, Augen, Ohren, Mund, und Nase, an; und lehnte sich, wie er es bei fremden Menschen machte, so dicht wie mög¬ lich an dasselbe an, oft mit dem thörichten Wahn, ob es ihm nicht vielleicht möglich würde, sich nach und nach in das Wesen eines solchen Thieres hineinzudenken -- es lag ihm alles daran, den Unterschied zwischen sich und dem Thiere zu wis¬
gibt, auf der Welt mehr umher geht, oder nicht! — Denn er konnte ſich nicht enthalten, ſich immer an den Platz der zerſtuͤckten und in Stuͤcken auf das Rad gewundenen hingerichteten Miſſethaͤter zu ſtellen — und dachte dabei, was ſchon Salomo gedacht hat: Der Menſch iſt wie das Vieh; wie das Vieh ſtirbt, ſo ſtirbt er auch. —
Wenn er von dieſer Zeit an ein Thier ſchlach¬ ten ſahe, ſo hielt er ſich immer in Gedanken da¬ mit zuſammen — und da er es bei dem Schlaͤch¬ ter auch ſo oft zu ſehen Gelegenheit hatte, ſo ging eine ganze Zeitlang ſein bloßes Denken da¬ hin — den Unterſchied zwiſchen ſich und einem ſolchen Thiere, das geſchlachtet wird, auszumit¬ teln. — Er ſtand oft Stundenlang, und ſah ſo ein Kalb, mit Kopf, Augen, Ohren, Mund, und Naſe, an; und lehnte ſich, wie er es bei fremden Menſchen machte, ſo dicht wie moͤg¬ lich an daſſelbe an, oft mit dem thoͤrichten Wahn, ob es ihm nicht vielleicht moͤglich wuͤrde, ſich nach und nach in das Weſen eines ſolchen Thieres hineinzudenken — es lag ihm alles daran, den Unterſchied zwiſchen ſich und dem Thiere zu wiſ¬
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gibt, auf der Welt mehr umher geht, oder
nicht! — Denn er konnte ſich nicht enthalten,
ſich immer an den Platz der zerſtuͤckten und in
Stuͤcken auf das Rad gewundenen hingerichteten
Miſſethaͤter zu ſtellen — und dachte dabei, was
ſchon Salomo gedacht hat: Der Menſch iſt
wie das Vieh; wie das Vieh ſtirbt, ſo
ſtirbt er auch. —
Wenn er von dieſer Zeit an ein Thier ſchlach¬
ten ſahe, ſo hielt er ſich immer in Gedanken da¬
mit zuſammen — und da er es bei dem Schlaͤch¬
ter auch ſo oft zu ſehen Gelegenheit hatte, ſo
ging eine ganze Zeitlang ſein bloßes Denken da¬
hin — den Unterſchied zwiſchen ſich und einem
ſolchen Thiere, das geſchlachtet wird, auszumit¬
teln. — Er ſtand oft Stundenlang, und ſah ſo
ein Kalb, mit Kopf, Augen, Ohren, Mund,
und Naſe, an; und lehnte ſich, wie er es bei
fremden Menſchen machte, ſo dicht wie moͤg¬
lich an daſſelbe an, oft mit dem thoͤrichten Wahn,
ob es ihm nicht vielleicht moͤglich wuͤrde, ſich nach
und nach in das Weſen eines ſolchen Thieres
hineinzudenken — es lag ihm alles daran, den
Unterſchied zwiſchen ſich und dem Thiere zu wiſ¬
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/52>, abgerufen am 16.02.2025.
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