seiner Existenz, und der Gedanke oder vielmehr Ungedanke vom Nichtseyn, erschütterte seine Seele -- es war ihm unerklärlich, daß er jetzt wirklich sey, und doch einmal nicht gewesen seyn sollte -- so irrte er ohne Stütze und ohne Führer in den Tiefen der Metaphysik umher. --
Manchmal, wenn er itzt im Chore sang, und statt daß seine Mitschüler sich miteinander un¬ terredeten, einsam vor sich weg ging, und diese dann hinter ihm sagten: da geht der Melancho¬ likus! so dachte er über die Natur des Schalles nach, und suchte zu erforschen, was sich dabei mit Worten nicht ausdrücken ließ. -- Diß trat nun in die Stelle seiner vorigen romanti¬ schen Träume, womit er sich sonst so manche trübe Stunde verphantasirt hatte, wenn er an einem traurigen Wintertage im Schnee und Regen im Chore sang. --
Er liehe sich nun von dem Bücherantiquarius Wolfs Metaphysik, und las auch die nach der einmal angefangenen Weise durch -- und wenn er nun zu dem Schuster S. . . kam, so war der Stoff zu ihren philosophischen Gesprä¬ chen weit reichhaltiger, wie vorher -- und sie ka¬
ſeiner Exiſtenz, und der Gedanke oder vielmehr Ungedanke vom Nichtſeyn, erſchuͤtterte ſeine Seele — es war ihm unerklaͤrlich, daß er jetzt wirklich ſey, und doch einmal nicht geweſen ſeyn ſollte — ſo irrte er ohne Stuͤtze und ohne Fuͤhrer in den Tiefen der Metaphyſik umher. —
Manchmal, wenn er itzt im Chore ſang, und ſtatt daß ſeine Mitſchuͤler ſich miteinander un¬ terredeten, einſam vor ſich weg ging, und dieſe dann hinter ihm ſagten: da geht der Melancho¬ likus! ſo dachte er uͤber die Natur des Schalles nach, und ſuchte zu erforſchen, was ſich dabei mit Worten nicht ausdruͤcken ließ. — Diß trat nun in die Stelle ſeiner vorigen romanti¬ ſchen Traͤume, womit er ſich ſonſt ſo manche truͤbe Stunde verphantaſirt hatte, wenn er an einem traurigen Wintertage im Schnee und Regen im Chore ſang. —
Er liehe ſich nun von dem Buͤcherantiquarius Wolfs Metaphyſik, und las auch die nach der einmal angefangenen Weiſe durch — und wenn er nun zu dem Schuſter S. . . kam, ſo war der Stoff zu ihren philoſophiſchen Geſpraͤ¬ chen weit reichhaltiger, wie vorher — und ſie ka¬
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Ungedanke vom Nichtſeyn, erſchuͤtterte ſeine
Seele — es war ihm unerklaͤrlich, daß er jetzt
wirklich ſey, und doch einmal nicht geweſen ſeyn
ſollte — ſo irrte er ohne Stuͤtze und ohne Fuͤhrer
in den Tiefen der Metaphyſik umher. —
Manchmal, wenn er itzt im Chore ſang, und
ſtatt daß ſeine Mitſchuͤler ſich miteinander un¬
terredeten, einſam vor ſich weg ging, und dieſe
dann hinter ihm ſagten: da geht der Melancho¬
likus! ſo dachte er uͤber die Natur des Schalles
nach, und ſuchte zu erforſchen, was ſich dabei
mit Worten nicht ausdruͤcken ließ. — Diß
trat nun in die Stelle ſeiner vorigen romanti¬
ſchen Traͤume, womit er ſich ſonſt ſo manche
truͤbe Stunde verphantaſirt hatte, wenn er an
einem traurigen Wintertage im Schnee und Regen
im Chore ſang. —
Er liehe ſich nun von dem Buͤcherantiquarius
Wolfs Metaphyſik, und las auch die nach
der einmal angefangenen Weiſe durch — und
wenn er nun zu dem Schuſter S. . . kam, ſo
war der Stoff zu ihren philoſophiſchen Geſpraͤ¬
chen weit reichhaltiger, wie vorher — und ſie ka¬
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/39>, abgerufen am 22.07.2024.
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