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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

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und wenn er nun eben den Nahmen wieder laß,
oder wieder dachte, und ihm auf einmal alles so
licht und helle wurde, was ihm vorher dunkel
und verworren gewesen war, so bemächtigte sich
seiner ein so angenehmes Gefühl dabei, als er
noch nie empfunden hatte -- er schmeckte zuerst
die Wonne des Denkens. --

Die immerwährende Begierde, das Ganze
bald zu überschauen, leitete ihn durch alle Schwie¬
rigkeiten des Einzelnen hindurch. -- In seiner
Denkkraft ging eine neue Schöpfung vor. -- Es
war ihm, als ob es erst in seinem Verstande
dämmerte, und nun allmälig der Tag anbräche,
und er sich an dem erquickenden Lichte nicht satt
sehen konnte. --

Er vergaß hierüber fast Essen und Trinken,
und alles was ihn umgab, und kam unter dem
Vorwande von Kränklichkeit, in einer Zeit von
sechs Wochen fast gar nicht von seinem Boden
herunter -- in dieser Zeit saß er vom Morgen
bis an den Abend mit der Feder in der Hand bei
seinem Buche, und ruhete nicht eher, bis er vom
Anfang bis zum Ende durch war. --

und wenn er nun eben den Nahmen wieder laß,
oder wieder dachte, und ihm auf einmal alles ſo
licht und helle wurde, was ihm vorher dunkel
und verworren geweſen war, ſo bemaͤchtigte ſich
ſeiner ein ſo angenehmes Gefuͤhl dabei, als er
noch nie empfunden hatte — er ſchmeckte zuerſt
die Wonne des Denkens. —

Die immerwaͤhrende Begierde, das Ganze
bald zu uͤberſchauen, leitete ihn durch alle Schwie¬
rigkeiten des Einzelnen hindurch. — In ſeiner
Denkkraft ging eine neue Schoͤpfung vor. — Es
war ihm, als ob es erſt in ſeinem Verſtande
daͤmmerte, und nun allmaͤlig der Tag anbraͤche,
und er ſich an dem erquickenden Lichte nicht ſatt
ſehen konnte. —

Er vergaß hieruͤber faſt Eſſen und Trinken,
und alles was ihn umgab, und kam unter dem
Vorwande von Kraͤnklichkeit, in einer Zeit von
ſechs Wochen faſt gar nicht von ſeinem Boden
herunter — in dieſer Zeit ſaß er vom Morgen
bis an den Abend mit der Feder in der Hand bei
ſeinem Buche, und ruhete nicht eher, bis er vom
Anfang bis zum Ende durch war. —

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[26/0036] und wenn er nun eben den Nahmen wieder laß, oder wieder dachte, und ihm auf einmal alles ſo licht und helle wurde, was ihm vorher dunkel und verworren geweſen war, ſo bemaͤchtigte ſich ſeiner ein ſo angenehmes Gefuͤhl dabei, als er noch nie empfunden hatte — er ſchmeckte zuerſt die Wonne des Denkens. — Die immerwaͤhrende Begierde, das Ganze bald zu uͤberſchauen, leitete ihn durch alle Schwie¬ rigkeiten des Einzelnen hindurch. — In ſeiner Denkkraft ging eine neue Schoͤpfung vor. — Es war ihm, als ob es erſt in ſeinem Verſtande daͤmmerte, und nun allmaͤlig der Tag anbraͤche, und er ſich an dem erquickenden Lichte nicht ſatt ſehen konnte. — Er vergaß hieruͤber faſt Eſſen und Trinken, und alles was ihn umgab, und kam unter dem Vorwande von Kraͤnklichkeit, in einer Zeit von ſechs Wochen faſt gar nicht von ſeinem Boden herunter — in dieſer Zeit ſaß er vom Morgen bis an den Abend mit der Feder in der Hand bei ſeinem Buche, und ruhete nicht eher, bis er vom Anfang bis zum Ende durch war. —

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/36>, abgerufen am 19.04.2024.