Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

diese Begebenheiten selbst waren. -- Reiser lebte
im Grunde immer ein doppeltes, ganz von einan¬
der verschiedenes inneres und äußeres Leben, und
sein Tagebuch schilderte gerade den äußern Theil
desselben, der gar nicht der Mühe werth war,
aufgezeichnet zu werden. -- Den Einfluß der
äußern -- würklichen Vorfälle auf den innern
Zustand seines Gemüths zu beobachten, verstand
Reiser damals noch nicht; seine Aufmerksamkeit
auf sich selbst hatte noch nicht die gehörige Rich¬
tung erhalten. --

Indes verbesserte sich doch sein Tagebuch mit
der Zeit, indem er anfing, nicht nur seine Bege¬
benheiten, sondern auch seine Vorsätze und Ent¬
schliessungen, darin aufzuzeichnen, um nach eini¬
ger Zeit zu sehen, was er davon in Erfüllung
gebracht hatte. -- Er machte sich schon damals
selber Gesetze, die er in seinem Tagebuche auf¬
schrieb, um sie in Erfüllung zu bringen. -- Auch
that er sich selbst zuweilen feierliche Gelübde,
z. B. früh aufzustehen, den Tag seine Stunden
ordentlich einzutheilen, und dergleichen mehr. --

Aber es war sonderbar -- gerade die feier¬
lichsten
Vorsätze, welche er faßte, pflegten ge¬

dieſe Begebenheiten ſelbſt waren. — Reiſer lebte
im Grunde immer ein doppeltes, ganz von einan¬
der verſchiedenes inneres und aͤußeres Leben, und
ſein Tagebuch ſchilderte gerade den aͤußern Theil
deſſelben, der gar nicht der Muͤhe werth war,
aufgezeichnet zu werden. — Den Einfluß der
aͤußern — wuͤrklichen Vorfaͤlle auf den innern
Zuſtand ſeines Gemuͤths zu beobachten, verſtand
Reiſer damals noch nicht; ſeine Aufmerkſamkeit
auf ſich ſelbſt hatte noch nicht die gehoͤrige Rich¬
tung erhalten. —

Indes verbeſſerte ſich doch ſein Tagebuch mit
der Zeit, indem er anfing, nicht nur ſeine Bege¬
benheiten, ſondern auch ſeine Vorſaͤtze und Ent¬
ſchlieſſungen, darin aufzuzeichnen, um nach eini¬
ger Zeit zu ſehen, was er davon in Erfuͤllung
gebracht hatte. — Er machte ſich ſchon damals
ſelber Geſetze, die er in ſeinem Tagebuche auf¬
ſchrieb, um ſie in Erfuͤllung zu bringen. — Auch
that er ſich ſelbſt zuweilen feierliche Geluͤbde,
z. B. fruͤh aufzuſtehen, den Tag ſeine Stunden
ordentlich einzutheilen, und dergleichen mehr. —

Aber es war ſonderbar — gerade die feier¬
lichſten
Vorſaͤtze, welche er faßte, pflegten ge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0025" n="15"/>
die&#x017F;e Begebenheiten &#x017F;elb&#x017F;t waren. &#x2014; Rei&#x017F;er lebte<lb/>
im Grunde immer ein doppeltes, ganz von einan¬<lb/>
der ver&#x017F;chiedenes inneres und a&#x0364;ußeres Leben, und<lb/>
&#x017F;ein Tagebuch &#x017F;childerte gerade den a&#x0364;ußern Theil<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben, der gar nicht der Mu&#x0364;he werth war,<lb/>
aufgezeichnet zu werden. &#x2014; Den Einfluß der<lb/>
a&#x0364;ußern &#x2014; wu&#x0364;rklichen Vorfa&#x0364;lle auf den innern<lb/>
Zu&#x017F;tand &#x017F;eines Gemu&#x0364;ths zu beobachten, ver&#x017F;tand<lb/>
Rei&#x017F;er damals noch nicht; &#x017F;eine Aufmerk&#x017F;amkeit<lb/>
auf &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t hatte noch nicht die geho&#x0364;rige Rich¬<lb/>
tung erhalten. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Indes verbe&#x017F;&#x017F;erte &#x017F;ich doch &#x017F;ein Tagebuch mit<lb/>
der Zeit, indem er anfing, nicht nur &#x017F;eine Bege¬<lb/>
benheiten, &#x017F;ondern auch &#x017F;eine Vor&#x017F;a&#x0364;tze und Ent¬<lb/>
&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;ungen, darin aufzuzeichnen, um nach eini¬<lb/>
ger Zeit zu &#x017F;ehen, was er davon in Erfu&#x0364;llung<lb/>
gebracht hatte. &#x2014; Er machte &#x017F;ich &#x017F;chon damals<lb/>
&#x017F;elber <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;etze</hi>, die er in &#x017F;einem Tagebuche auf¬<lb/>
&#x017F;chrieb, um &#x017F;ie in Erfu&#x0364;llung zu bringen. &#x2014; Auch<lb/>
that er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zuweilen feierliche Gelu&#x0364;bde,<lb/>
z. B. fru&#x0364;h aufzu&#x017F;tehen, den Tag &#x017F;eine Stunden<lb/>
ordentlich einzutheilen, und dergleichen mehr. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Aber es war &#x017F;onderbar &#x2014; gerade die <hi rendition="#fr">feier¬<lb/>
lich&#x017F;ten</hi> Vor&#x017F;a&#x0364;tze, welche er faßte, pflegten ge¬<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0025] dieſe Begebenheiten ſelbſt waren. — Reiſer lebte im Grunde immer ein doppeltes, ganz von einan¬ der verſchiedenes inneres und aͤußeres Leben, und ſein Tagebuch ſchilderte gerade den aͤußern Theil deſſelben, der gar nicht der Muͤhe werth war, aufgezeichnet zu werden. — Den Einfluß der aͤußern — wuͤrklichen Vorfaͤlle auf den innern Zuſtand ſeines Gemuͤths zu beobachten, verſtand Reiſer damals noch nicht; ſeine Aufmerkſamkeit auf ſich ſelbſt hatte noch nicht die gehoͤrige Rich¬ tung erhalten. — Indes verbeſſerte ſich doch ſein Tagebuch mit der Zeit, indem er anfing, nicht nur ſeine Bege¬ benheiten, ſondern auch ſeine Vorſaͤtze und Ent¬ ſchlieſſungen, darin aufzuzeichnen, um nach eini¬ ger Zeit zu ſehen, was er davon in Erfuͤllung gebracht hatte. — Er machte ſich ſchon damals ſelber Geſetze, die er in ſeinem Tagebuche auf¬ ſchrieb, um ſie in Erfuͤllung zu bringen. — Auch that er ſich ſelbſt zuweilen feierliche Geluͤbde, z. B. fruͤh aufzuſtehen, den Tag ſeine Stunden ordentlich einzutheilen, und dergleichen mehr. — Aber es war ſonderbar — gerade die feier¬ lichſten Vorſaͤtze, welche er faßte, pflegten ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/25
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/25>, abgerufen am 21.11.2024.