enge Hans, der Sarg ist eine Wohnung, still, kühl, und klein -- Kleinheit erweckt Leer¬ heit, Leerheit erweckt Traurigkeit -- Trau¬ rigkeit ist der Vernichtung Anfang -- unend¬ liche Leere ist Vernichtung. -- Reiser empfand auf dem kleinen Kirchhofe die Schrecken der Vernichtung -- der Uebergang vom Daseyn zum Nichtseyn, stellte sich ihm so anschaulich und mit solcher Stärke und Gewißheit dar, daß seine ganze Existenz nur noch wie an einem Fa¬ den hing, der jeden Augenblick zu zerreissen drohte. --
Nun war also auf einmal aller Lebensüber¬ druß bei ihm verschwunden -- er suchte in sei¬ ner Seele wieder eine gewisse Ideenfülle hervor¬ zubringen, um sich gleichsam nur vor der gänz¬ lichen Vernichtung zu retten -- und da er von ohngefähr auf die Heerstraße nach N. . . gerieth, wo seine Eltern wohnten, und ihm nun auf ein¬ mal diese ganze Gegend bekannt war -- so nahm er sich erst vor, die ganze Nacht durch zu gehen, und seine Eltern noch einmal mit einem unver¬ mutheten Besuch zu überraschen. -- Eine Meile
enge Hans, der Sarg iſt eine Wohnung, ſtill, kuͤhl, und klein — Kleinheit erweckt Leer¬ heit, Leerheit erweckt Traurigkeit — Trau¬ rigkeit iſt der Vernichtung Anfang — unend¬ liche Leere iſt Vernichtung. — Reiſer empfand auf dem kleinen Kirchhofe die Schrecken der Vernichtung — der Uebergang vom Daſeyn zum Nichtſeyn, ſtellte ſich ihm ſo anſchaulich und mit ſolcher Staͤrke und Gewißheit dar, daß ſeine ganze Exiſtenz nur noch wie an einem Fa¬ den hing, der jeden Augenblick zu zerreiſſen drohte. —
Nun war alſo auf einmal aller Lebensuͤber¬ druß bei ihm verſchwunden — er ſuchte in ſei¬ ner Seele wieder eine gewiſſe Ideenfuͤlle hervor¬ zubringen, um ſich gleichſam nur vor der gaͤnz¬ lichen Vernichtung zu retten — und da er von ohngefaͤhr auf die Heerſtraße nach N. . . gerieth, wo ſeine Eltern wohnten, und ihm nun auf ein¬ mal dieſe ganze Gegend bekannt war — ſo nahm er ſich erſt vor, die ganze Nacht durch zu gehen, und ſeine Eltern noch einmal mit einem unver¬ mutheten Beſuch zu uͤberraſchen. — Eine Meile
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rigkeit iſt der Vernichtung Anfang — unend¬
liche Leere iſt Vernichtung. — Reiſer empfand
auf dem kleinen Kirchhofe die Schrecken der
Vernichtung — der Uebergang vom Daſeyn
zum Nichtſeyn, ſtellte ſich ihm ſo anſchaulich
und mit ſolcher Staͤrke und Gewißheit dar, daß
ſeine ganze Exiſtenz nur noch wie an einem Fa¬
den hing, der jeden Augenblick zu zerreiſſen
drohte. —
Nun war alſo auf einmal aller Lebensuͤber¬
druß bei ihm verſchwunden — er ſuchte in ſei¬
ner Seele wieder eine gewiſſe Ideenfuͤlle hervor¬
zubringen, um ſich gleichſam nur vor der gaͤnz¬
lichen Vernichtung zu retten — und da er von
ohngefaͤhr auf die Heerſtraße nach N. . . gerieth,
wo ſeine Eltern wohnten, und ihm nun auf ein¬
mal dieſe ganze Gegend bekannt war — ſo nahm
er ſich erſt vor, die ganze Nacht durch zu gehen,
und ſeine Eltern noch einmal mit einem unver¬
mutheten Beſuch zu uͤberraſchen. — Eine Meile
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/240>, abgerufen am 16.02.2025.
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