dern seinen Unmuth und Lebensüberdruß, aus allgemeinen Betrachtungen über die Nichtigkeit des menschlichen Lebens, und die Eitelkeit der Dinge, herzuleiten suchte -- freilich fanden sich denn auch diese allgemeinen Betrachtungen ein, die aber ohne jene herrschende Idee nur seinen Verstand beschäftigt, nicht aber sein Herz in Be¬ wegung gesetzt haben würden. -- Im Grunde war es das Gefühl, der durch bürgerliche Verhältnisse unterdrückten Menschheit, das sich seiner hiebei bemächtigte, und ihm das Leben verhaßt machte -- er mußte einen jungen Edel¬ mann unterrichten, der ihn dafür bezahlte, und ihm nach geendigter Stunde auf eine höfliche Art die Thüre weisen konnte, wenn es ihm be¬ liebte -- was hatte er vor seiner Geburt verbro¬ chen, daß er nicht auch ein Mensch geworden war, um den sich eine Anzahl anderer Menschen bekümmern, und um ihn bemüht seyn müssen -- warum erhielt er gerade die Rolle des Arbei¬ tenden und ein andrer des Bezahlenden? -- Hätten ihn seine Verhältnisse in der Welt glück¬ lich und zufrieden gemacht, so würde er allent¬ halben Zweck und Ordnung gesehen haben, jetzt
dern ſeinen Unmuth und Lebensuͤberdruß, aus allgemeinen Betrachtungen uͤber die Nichtigkeit des menſchlichen Lebens, und die Eitelkeit der Dinge, herzuleiten ſuchte — freilich fanden ſich denn auch dieſe allgemeinen Betrachtungen ein, die aber ohne jene herrſchende Idee nur ſeinen Verſtand beſchaͤftigt, nicht aber ſein Herz in Be¬ wegung geſetzt haben wuͤrden. — Im Grunde war es das Gefuͤhl, der durch buͤrgerliche Verhaͤltniſſe unterdruͤckten Menſchheit, das ſich ſeiner hiebei bemaͤchtigte, und ihm das Leben verhaßt machte — er mußte einen jungen Edel¬ mann unterrichten, der ihn dafuͤr bezahlte, und ihm nach geendigter Stunde auf eine hoͤfliche Art die Thuͤre weiſen konnte, wenn es ihm be¬ liebte — was hatte er vor ſeiner Geburt verbro¬ chen, daß er nicht auch ein Menſch geworden war, um den ſich eine Anzahl anderer Menſchen bekuͤmmern, und um ihn bemuͤht ſeyn muͤſſen — warum erhielt er gerade die Rolle des Arbei¬ tenden und ein andrer des Bezahlenden? — Haͤtten ihn ſeine Verhaͤltniſſe in der Welt gluͤck¬ lich und zufrieden gemacht, ſo wuͤrde er allent¬ halben Zweck und Ordnung geſehen haben, jetzt
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dern ſeinen Unmuth und Lebensuͤberdruß, aus
allgemeinen Betrachtungen uͤber die Nichtigkeit
des menſchlichen Lebens, und die Eitelkeit der
Dinge, herzuleiten ſuchte — freilich fanden ſich
denn auch dieſe allgemeinen Betrachtungen ein,
die aber ohne jene herrſchende Idee nur ſeinen
Verſtand beſchaͤftigt, nicht aber ſein Herz in Be¬
wegung geſetzt haben wuͤrden. — Im Grunde
war es das Gefuͤhl, der durch buͤrgerliche
Verhaͤltniſſe unterdruͤckten Menſchheit, das
ſich ſeiner hiebei bemaͤchtigte, und ihm das Leben
verhaßt machte — er mußte einen jungen Edel¬
mann unterrichten, der ihn dafuͤr bezahlte, und
ihm nach geendigter Stunde auf eine hoͤfliche
Art die Thuͤre weiſen konnte, wenn es ihm be¬
liebte — was hatte er vor ſeiner Geburt verbro¬
chen, daß er nicht auch ein Menſch geworden
war, um den ſich eine Anzahl anderer Menſchen
bekuͤmmern, und um ihn bemuͤht ſeyn muͤſſen
— warum erhielt er gerade die Rolle des Arbei¬
tenden und ein andrer des Bezahlenden? —
Haͤtten ihn ſeine Verhaͤltniſſe in der Welt gluͤck¬
lich und zufrieden gemacht, ſo wuͤrde er allent¬
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/230>, abgerufen am 22.07.2024.
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