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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

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Alles und Eins, vom Vollenden in Eins u. s. w.,
metaphysisch zu erklären, welches ihm sehr leicht
wurde -- indem die Mystik und Methaphysik
wirklich in so fern zusammentreffen, als jene oft
eben das vermittelst der Einbildungskraft zufäl¬
ligerweise
herausgebracht hat, was in dieser ein
Werk der nachdenkenden Vernunft ist. -- Rei¬
sers Vater, der dieß nie in seinem Sohne gesucht
hatte, schien nun auch eine hohe Idee von ihm
zu bekommen, und ordentlich eine Art von Ach¬
tung gegen ihn zu hegen. --

Die Neigung zur Schwermuth aber behielt
auch hier beständig bei Reisern das Uebergewicht.
-- Er stand mit seiner Mutter an der Thüre,
da das Kind eines Nachbars begraben wurde,
und der Vater in tiefer Trauer, mit hangendem
Haar und nassem Auge folgte. -- Wenn sie mich
nur auch erst so hintrügen, sagte Reisers Mutter,
die freilich im Leben nicht viel Freude gehabt
hatte, und Reiser, der sich doch noch viel Freude
versprechen konnte, stimmte innerlich so herzlich
in diesem Wunsch mit ein, als ob ihm das größte
Herzeleid wiederfahren wäre. --

Alles und Eins, vom Vollenden in Eins u. ſ. w.,
metaphyſiſch zu erklaͤren, welches ihm ſehr leicht
wurde — indem die Myſtik und Methaphyſik
wirklich in ſo fern zuſammentreffen, als jene oft
eben das vermittelſt der Einbildungskraft zufaͤl¬
ligerweiſe
herausgebracht hat, was in dieſer ein
Werk der nachdenkenden Vernunft iſt. — Rei¬
ſers Vater, der dieß nie in ſeinem Sohne geſucht
hatte, ſchien nun auch eine hohe Idee von ihm
zu bekommen, und ordentlich eine Art von Ach¬
tung gegen ihn zu hegen. —

Die Neigung zur Schwermuth aber behielt
auch hier beſtaͤndig bei Reiſern das Uebergewicht.
— Er ſtand mit ſeiner Mutter an der Thuͤre,
da das Kind eines Nachbars begraben wurde,
und der Vater in tiefer Trauer, mit hangendem
Haar und naſſem Auge folgte. — Wenn ſie mich
nur auch erſt ſo hintruͤgen, ſagte Reiſers Mutter,
die freilich im Leben nicht viel Freude gehabt
hatte, und Reiſer, der ſich doch noch viel Freude
verſprechen konnte, ſtimmte innerlich ſo herzlich
in dieſem Wunſch mit ein, als ob ihm das groͤßte
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[176/0186] Alles und Eins, vom Vollenden in Eins u. ſ. w., metaphyſiſch zu erklaͤren, welches ihm ſehr leicht wurde — indem die Myſtik und Methaphyſik wirklich in ſo fern zuſammentreffen, als jene oft eben das vermittelſt der Einbildungskraft zufaͤl¬ ligerweiſe herausgebracht hat, was in dieſer ein Werk der nachdenkenden Vernunft iſt. — Rei¬ ſers Vater, der dieß nie in ſeinem Sohne geſucht hatte, ſchien nun auch eine hohe Idee von ihm zu bekommen, und ordentlich eine Art von Ach¬ tung gegen ihn zu hegen. — Die Neigung zur Schwermuth aber behielt auch hier beſtaͤndig bei Reiſern das Uebergewicht. — Er ſtand mit ſeiner Mutter an der Thuͤre, da das Kind eines Nachbars begraben wurde, und der Vater in tiefer Trauer, mit hangendem Haar und naſſem Auge folgte. — Wenn ſie mich nur auch erſt ſo hintruͤgen, ſagte Reiſers Mutter, die freilich im Leben nicht viel Freude gehabt hatte, und Reiſer, der ſich doch noch viel Freude verſprechen konnte, ſtimmte innerlich ſo herzlich in dieſem Wunſch mit ein, als ob ihm das groͤßte Herzeleid wiederfahren waͤre. —

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/186>, abgerufen am 29.03.2024.