Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

in alle seine damaligen Ideen und Empfin¬
dungen von Einsamkeit, Naturgenuß, pa¬
triarchalischer Lebensart
, daß das Leben
ein Traum sey
, u. s. w. eingriffen.--

Er bekam sie im Anfange des Sommers
durch Philipp Reisern in die Hände, und von
der Zeit an, blieben sie seine beständige Lektüre,
und kamen nicht aus seiner Tasche. -- Alle die
Empfindungen, die er an dem trüben Nachmit¬
tage auf seinem einsamen Spatziergange gehabt
hatte, und welche das Gedicht an Philipp Reisern
veranlaßten, wurden dadurch wieder lebhaft in
seiner Seele. -- Er fand hier seine Idee vom
Nahen und Fernen wieder, die er in seinen
Aufsatz über die Liebe zum Romanhaften bringen
wollte -- seine Betrachtungen über Leben und
Daseyn fand er hier fortgesetzt -- "Wer kann
sagen, das ist, da alles mit Wetterschnelle
vorbeiflieht
?"-- Das war eben der Gedanke,
der ihm schon so lange seine eigne Existenz wie
Täuschung, Traum, und Blendwerk vorge¬
mahlt hatte. --

Was aber nun die eigentlichen Leiden Wer¬
thers anbetraf, so hatte er dafür keinen rechten

in alle ſeine damaligen Ideen und Empfin¬
dungen von Einſamkeit, Naturgenuß, pa¬
triarchaliſcher Lebensart
, daß das Leben
ein Traum ſey
, u. ſ. w. eingriffen.—

Er bekam ſie im Anfange des Sommers
durch Philipp Reiſern in die Haͤnde, und von
der Zeit an, blieben ſie ſeine beſtaͤndige Lektuͤre,
und kamen nicht aus ſeiner Taſche. — Alle die
Empfindungen, die er an dem truͤben Nachmit¬
tage auf ſeinem einſamen Spatziergange gehabt
hatte, und welche das Gedicht an Philipp Reiſern
veranlaßten, wurden dadurch wieder lebhaft in
ſeiner Seele. — Er fand hier ſeine Idee vom
Nahen und Fernen wieder, die er in ſeinen
Aufſatz uͤber die Liebe zum Romanhaften bringen
wollte — ſeine Betrachtungen uͤber Leben und
Daſeyn fand er hier fortgeſetzt — „Wer kann
ſagen, das iſt, da alles mit Wetterſchnelle
vorbeiflieht
?“— Das war eben der Gedanke,
der ihm ſchon ſo lange ſeine eigne Exiſtenz wie
Taͤuſchung, Traum, und Blendwerk vorge¬
mahlt hatte. —

Was aber nun die eigentlichen Leiden Wer¬
thers anbetraf, ſo hatte er dafuͤr keinen rechten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0103" n="93"/>
in alle &#x017F;eine damaligen Ideen und Empfin¬<lb/>
dungen von <hi rendition="#fr">Ein&#x017F;amkeit</hi>, <hi rendition="#fr">Naturgenuß</hi>, <hi rendition="#fr">pa¬<lb/>
triarchali&#x017F;cher Lebensart</hi>, <hi rendition="#fr">daß das Leben<lb/>
ein Traum &#x017F;ey</hi>, u. &#x017F;. w. eingriffen.&#x2014;</p><lb/>
      <p>Er bekam &#x017F;ie im Anfange des Sommers<lb/>
durch Philipp Rei&#x017F;ern in die Ha&#x0364;nde, und von<lb/>
der Zeit an, blieben &#x017F;ie &#x017F;eine be&#x017F;ta&#x0364;ndige Lektu&#x0364;re,<lb/>
und kamen nicht aus &#x017F;einer Ta&#x017F;che. &#x2014; Alle die<lb/>
Empfindungen, die er an dem tru&#x0364;ben Nachmit¬<lb/>
tage auf &#x017F;einem ein&#x017F;amen Spatziergange gehabt<lb/>
hatte, und welche das Gedicht an Philipp Rei&#x017F;ern<lb/>
veranlaßten, wurden dadurch wieder lebhaft in<lb/>
&#x017F;einer Seele. &#x2014; Er fand hier &#x017F;eine Idee vom<lb/><hi rendition="#fr">Nahen</hi> und <hi rendition="#fr">Fernen</hi> wieder, die er in &#x017F;einen<lb/>
Auf&#x017F;atz u&#x0364;ber die Liebe zum Romanhaften bringen<lb/>
wollte &#x2014; &#x017F;eine Betrachtungen u&#x0364;ber Leben und<lb/>
Da&#x017F;eyn fand er hier fortge&#x017F;etzt &#x2014; &#x201E;<hi rendition="#fr">Wer kann<lb/>
&#x017F;agen, das i&#x017F;t, da alles mit Wetter&#x017F;chnelle<lb/>
vorbeiflieht</hi>?&#x201C;&#x2014; Das war eben der Gedanke,<lb/>
der ihm &#x017F;chon &#x017F;o lange &#x017F;eine eigne Exi&#x017F;tenz wie<lb/>
Ta&#x0364;u&#x017F;chung, Traum, und Blendwerk vorge¬<lb/>
mahlt hatte. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Was aber nun die eigentlichen Leiden Wer¬<lb/>
thers anbetraf, &#x017F;o hatte er dafu&#x0364;r keinen rechten<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0103] in alle ſeine damaligen Ideen und Empfin¬ dungen von Einſamkeit, Naturgenuß, pa¬ triarchaliſcher Lebensart, daß das Leben ein Traum ſey, u. ſ. w. eingriffen.— Er bekam ſie im Anfange des Sommers durch Philipp Reiſern in die Haͤnde, und von der Zeit an, blieben ſie ſeine beſtaͤndige Lektuͤre, und kamen nicht aus ſeiner Taſche. — Alle die Empfindungen, die er an dem truͤben Nachmit¬ tage auf ſeinem einſamen Spatziergange gehabt hatte, und welche das Gedicht an Philipp Reiſern veranlaßten, wurden dadurch wieder lebhaft in ſeiner Seele. — Er fand hier ſeine Idee vom Nahen und Fernen wieder, die er in ſeinen Aufſatz uͤber die Liebe zum Romanhaften bringen wollte — ſeine Betrachtungen uͤber Leben und Daſeyn fand er hier fortgeſetzt — „Wer kann ſagen, das iſt, da alles mit Wetterſchnelle vorbeiflieht?“— Das war eben der Gedanke, der ihm ſchon ſo lange ſeine eigne Exiſtenz wie Taͤuſchung, Traum, und Blendwerk vorge¬ mahlt hatte. — Was aber nun die eigentlichen Leiden Wer¬ thers anbetraf, ſo hatte er dafuͤr keinen rechten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/103
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/103>, abgerufen am 24.11.2024.