gänzlicher Verhärtung und Stillschweigen an -- und da er wieder allein war, vergoß er nicht ein¬ mal eine Thräne mehr über sein Schicksal -- denn er war sich selbst so gleichgültig geworden, und hatte so wenige Achtung gegen sich und Mit¬ leid mit sich selber übrig behalten, daß wenn seine Achtung und Empfindung des Mitleids, und alle die Leidenschaften, wovon sein Herz überströmte, nicht auf Personen aus einer erdichteten Welt gefallen wären, sie nothwendig sich alle gegen ihn selbst kehren, und sein eignes Wesen hätten zer¬ stören müssen.
Da ihm der Rektor das Logis aufgesagt hatte, so zog er daraus die sichere Folge, daß nun auch der Pastor M... sich nicht weiter um ihn bekümmern würde, und so war es nun auf ein¬ mal mit allen seinen Aussichten und Hoffnungen vorbei. --
Die paar Wochen, welche er noch bei dem Rektor blieb, brachte er nach seiner gewöhnlichen Weise zu -- dann zog er bei einem Bürstenbin¬ der ins Haus; wo nun das Vierteljahr, welches er von Johanni bis Michaelis zubrachte, das schrecklichste und fürchterlichste in seinem ganzen
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gaͤnzlicher Verhaͤrtung und Stillſchweigen an — und da er wieder allein war, vergoß er nicht ein¬ mal eine Thraͤne mehr uͤber ſein Schickſal — denn er war ſich ſelbſt ſo gleichguͤltig geworden, und hatte ſo wenige Achtung gegen ſich und Mit¬ leid mit ſich ſelber uͤbrig behalten, daß wenn ſeine Achtung und Empfindung des Mitleids, und alle die Leidenſchaften, wovon ſein Herz uͤberſtroͤmte, nicht auf Perſonen aus einer erdichteten Welt gefallen waͤren, ſie nothwendig ſich alle gegen ihn ſelbſt kehren, und ſein eignes Weſen haͤtten zer¬ ſtoͤren muͤſſen.
Da ihm der Rektor das Logis aufgeſagt hatte, ſo zog er daraus die ſichere Folge, daß nun auch der Paſtor M... ſich nicht weiter um ihn bekuͤmmern wuͤrde, und ſo war es nun auf ein¬ mal mit allen ſeinen Ausſichten und Hoffnungen vorbei. —
Die paar Wochen, welche er noch bei dem Rektor blieb, brachte er nach ſeiner gewoͤhnlichen Weiſe zu — dann zog er bei einem Buͤrſtenbin¬ der ins Haus; wo nun das Vierteljahr, welches er von Johanni bis Michaelis zubrachte, das ſchrecklichſte und fuͤrchterlichſte in ſeinem ganzen
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gaͤnzlicher Verhaͤrtung und Stillſchweigen an —
und da er wieder allein war, vergoß er nicht ein¬
mal eine Thraͤne mehr uͤber ſein Schickſal —
denn er war ſich ſelbſt ſo gleichguͤltig geworden,
und hatte ſo wenige Achtung gegen ſich und Mit¬
leid mit ſich ſelber uͤbrig behalten, daß wenn ſeine
Achtung und Empfindung des Mitleids, und alle
die Leidenſchaften, wovon ſein Herz uͤberſtroͤmte,
nicht auf Perſonen aus einer erdichteten Welt
gefallen waͤren, ſie nothwendig ſich alle gegen ihn
ſelbſt kehren, und ſein eignes Weſen haͤtten zer¬
ſtoͤren muͤſſen.
Da ihm der Rektor das Logis aufgeſagt hatte,
ſo zog er daraus die ſichere Folge, daß nun
auch der Paſtor M... ſich nicht weiter um ihn
bekuͤmmern wuͤrde, und ſo war es nun auf ein¬
mal mit allen ſeinen Ausſichten und Hoffnungen
vorbei. —
Die paar Wochen, welche er noch bei dem
Rektor blieb, brachte er nach ſeiner gewoͤhnlichen
Weiſe zu — dann zog er bei einem Buͤrſtenbin¬
der ins Haus; wo nun das Vierteljahr, welches
er von Johanni bis Michaelis zubrachte, das
ſchrecklichſte und fuͤrchterlichſte in ſeinem ganzen
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/177>, abgerufen am 15.08.2024.
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