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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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sern sein Selbstzutrauen gänzlich zu rauben, so daß
er nun fast alles Zutrauen zu seinen eignen Ver¬
standeskräften fahren ließ, und oft im Ernst an¬
fing, sich selbst für den Dummkopf zu halten,
wofür er so allgemein erkannt wurde -- Dieser
Gedanke artete denn aber auch zugleich in eine
Art von Bitterkeit gegen den Zusammenhang
der Dinge aus -- er verwünschte in den Augen¬
blicken die Welt und sich -- weil er sich als ein
höchst verächtliches Wesen zum Spott der Welt
geschaffen glaubte. --

Wie weit das Vorurtheil seiner Mitschüler
gegen ihn, und ihre Ueberzeugung von seiner an¬
gebohrnen Dummheit ging, davon mag folgen¬
des zum Beweise dienen: --

Der Rektor hatte ihm erlaubt, die Privat¬
stunden welche er in seinem Hause gab, mit zu besu¬
chen -- Unter andern gab nun der Rektor auch eine
englische Stunde -- Reiser hatte das Buch nicht,
worin gelesen wurde, und konnte sich also zu
Hause nicht üben, er mußte mit einem andern
einsehn; demohngeachtet begriff er in ein paar
Wochen von bloßem Zuhören die meisten Regeln
der englischen Aussprache; und da ihn der Rek¬

ſern ſein Selbſtzutrauen gaͤnzlich zu rauben, ſo daß
er nun faſt alles Zutrauen zu ſeinen eignen Ver¬
ſtandeskraͤften fahren ließ, und oft im Ernſt an¬
fing, ſich ſelbſt fuͤr den Dummkopf zu halten,
wofuͤr er ſo allgemein erkannt wurde — Dieſer
Gedanke artete denn aber auch zugleich in eine
Art von Bitterkeit gegen den Zuſammenhang
der Dinge aus — er verwuͤnſchte in den Augen¬
blicken die Welt und ſich — weil er ſich als ein
hoͤchſt veraͤchtliches Weſen zum Spott der Welt
geſchaffen glaubte. —

Wie weit das Vorurtheil ſeiner Mitſchuͤler
gegen ihn, und ihre Ueberzeugung von ſeiner an¬
gebohrnen Dummheit ging, davon mag folgen¬
des zum Beweiſe dienen: —

Der Rektor hatte ihm erlaubt, die Privat¬
ſtunden welche er in ſeinem Hauſe gab, mit zu beſu¬
chen — Unter andern gab nun der Rektor auch eine
engliſche Stunde — Reiſer hatte das Buch nicht,
worin geleſen wurde, und konnte ſich alſo zu
Hauſe nicht uͤben, er mußte mit einem andern
einſehn; demohngeachtet begriff er in ein paar
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[152/0162] ſern ſein Selbſtzutrauen gaͤnzlich zu rauben, ſo daß er nun faſt alles Zutrauen zu ſeinen eignen Ver¬ ſtandeskraͤften fahren ließ, und oft im Ernſt an¬ fing, ſich ſelbſt fuͤr den Dummkopf zu halten, wofuͤr er ſo allgemein erkannt wurde — Dieſer Gedanke artete denn aber auch zugleich in eine Art von Bitterkeit gegen den Zuſammenhang der Dinge aus — er verwuͤnſchte in den Augen¬ blicken die Welt und ſich — weil er ſich als ein hoͤchſt veraͤchtliches Weſen zum Spott der Welt geſchaffen glaubte. — Wie weit das Vorurtheil ſeiner Mitſchuͤler gegen ihn, und ihre Ueberzeugung von ſeiner an¬ gebohrnen Dummheit ging, davon mag folgen¬ des zum Beweiſe dienen: — Der Rektor hatte ihm erlaubt, die Privat¬ ſtunden welche er in ſeinem Hauſe gab, mit zu beſu¬ chen — Unter andern gab nun der Rektor auch eine engliſche Stunde — Reiſer hatte das Buch nicht, worin geleſen wurde, und konnte ſich alſo zu Hauſe nicht uͤben, er mußte mit einem andern einſehn; demohngeachtet begriff er in ein paar Wochen von bloßem Zuhoͤren die meiſten Regeln der engliſchen Ausſprache; und da ihn der Rek¬

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/162>, abgerufen am 24.11.2024.