Ja zuweilen konnte er heimlich lachen, indeß der alte Mann sein Geschriebnes las.
So fing er auch an, seinen Vater zu betrü¬ gen. Dieser ließ sich einmal gegen ihn verlau¬ ten: damals vor drei Jahren sey er noch ein ganz andrer Knabe gewesen, als er in P. sich weigerte, eine Nothlüge zu thun, indem er den Engländer verläugnen sollte.
Weil sich nun Anton bewußt war, daß ge¬ rade dies damals mehr aus einer Art von Affec¬ tation, als würklichem Abscheu gegen die Lüge geschehen sey, so dachte er bei sich selber: wenn sonst nichts verlangt wird, um mich beliebt zu machen, das soll mir wenig Mühe kosten; und nun wußte er es in kurzer Zeit durch eine Art von bloßer Heuchelei, die er doch aber vor sich selber als Heuchelei zu verbergen suchte, so weit zu bringen, daß sein Vater über ihn mit dem Hrn. v. F. korrespondirte, und denselben von Antons Seelenzustande Nachricht gab, um sei¬ nen Rath darüber einzuholen.
Indeß wie Anton sahe, daß die Sache so ernsthaft wurde, ward er auch ernsthafter dabei, und entschloß sich zuweilen, sich nun im Ernst
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Ja zuweilen konnte er heimlich lachen, indeß der alte Mann ſein Geſchriebnes las.
So fing er auch an, ſeinen Vater zu betruͤ¬ gen. Dieſer ließ ſich einmal gegen ihn verlau¬ ten: damals vor drei Jahren ſey er noch ein ganz andrer Knabe geweſen, als er in P. ſich weigerte, eine Nothluͤge zu thun, indem er den Englaͤnder verlaͤugnen ſollte.
Weil ſich nun Anton bewußt war, daß ge¬ rade dies damals mehr aus einer Art von Affec¬ tation, als wuͤrklichem Abſcheu gegen die Luͤge geſchehen ſey, ſo dachte er bei ſich ſelber: wenn ſonſt nichts verlangt wird, um mich beliebt zu machen, das ſoll mir wenig Muͤhe koſten; und nun wußte er es in kurzer Zeit durch eine Art von bloßer Heuchelei, die er doch aber vor ſich ſelber als Heuchelei zu verbergen ſuchte, ſo weit zu bringen, daß ſein Vater uͤber ihn mit dem Hrn. v. F. korreſpondirte, und denſelben von Antons Seelenzuſtande Nachricht gab, um ſei¬ nen Rath daruͤber einzuholen.
Indeß wie Anton ſahe, daß die Sache ſo ernſthaft wurde, ward er auch ernſthafter dabei, und entſchloß ſich zuweilen, ſich nun im Ernſt
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Ja zuweilen konnte er heimlich lachen, indeß
der alte Mann ſein Geſchriebnes las.
So fing er auch an, ſeinen Vater zu betruͤ¬
gen. Dieſer ließ ſich einmal gegen ihn verlau¬
ten: damals vor drei Jahren ſey er noch ein
ganz andrer Knabe geweſen, als er in P. ſich
weigerte, eine Nothluͤge zu thun, indem er den
Englaͤnder verlaͤugnen ſollte.
Weil ſich nun Anton bewußt war, daß ge¬
rade dies damals mehr aus einer Art von Affec¬
tation, als wuͤrklichem Abſcheu gegen die Luͤge
geſchehen ſey, ſo dachte er bei ſich ſelber: wenn
ſonſt nichts verlangt wird, um mich beliebt zu
machen, das ſoll mir wenig Muͤhe koſten; und
nun wußte er es in kurzer Zeit durch eine Art
von bloßer Heuchelei, die er doch aber vor ſich
ſelber als Heuchelei zu verbergen ſuchte, ſo weit
zu bringen, daß ſein Vater uͤber ihn mit dem
Hrn. v. F. korreſpondirte, und denſelben von
Antons Seelenzuſtande Nachricht gab, um ſei¬
nen Rath daruͤber einzuholen.
Indeß wie Anton ſahe, daß die Sache ſo
ernſthaft wurde, ward er auch ernſthafter dabei,
und entſchloß ſich zuweilen, ſich nun im Ernſt
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/81>, abgerufen am 26.06.2024.
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