Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Er wollte sich noch an die letzte Stütze hal¬
ten, und sich von seinen ehemaligen Mitschülern
jedes aufgegebene Pensum sagen lassen, um es
zu Hause zu lernen, und auf die Weise mit ihnen
fortzurücken, als aber auch dies nicht gehen
wollte, so erlag seine bisherige Tugend und
Frömmigkeit, und er ward wirklich eine Zeitlang
aus einer Art von Mißmuth und Verzweiflung,
was man einen bösen Buben nennen kann.

Er zog sich muthwilliger Weise in der Schule
Schläge zu, und hielt sie alsdann mit Trotz und
Standhaftigkeit aus, ohne eine Miene zu ver¬
ziehen, und dies machte ihm dazu ein Vergnü¬
gen, das ihm noch lange in der Erinnerung an¬
genehm war.

Er schlug und balgte sich mit Straßenbuben,
versäumte die Lehrstunden in der Schule, und
quälte einen Hund, den seine Eltern hatten,
wie und wo er nur konnte.

In der Kirche, wo er sonst ein Muster der
Andacht gewesen war, plauderte er mit seines
Gleichen den ganzen Gottesdienst über.

Oft fiel es ihm ein, daß er auf einem bösen
Wege begriffen sey, er erinnerte sich mit Weh¬

E 3

Er wollte ſich noch an die letzte Stuͤtze hal¬
ten, und ſich von ſeinen ehemaligen Mitſchuͤlern
jedes aufgegebene Penſum ſagen laſſen, um es
zu Hauſe zu lernen, und auf die Weiſe mit ihnen
fortzuruͤcken, als aber auch dies nicht gehen
wollte, ſo erlag ſeine bisherige Tugend und
Froͤmmigkeit, und er ward wirklich eine Zeitlang
aus einer Art von Mißmuth und Verzweiflung,
was man einen boͤſen Buben nennen kann.

Er zog ſich muthwilliger Weiſe in der Schule
Schlaͤge zu, und hielt ſie alsdann mit Trotz und
Standhaftigkeit aus, ohne eine Miene zu ver¬
ziehen, und dies machte ihm dazu ein Vergnuͤ¬
gen, das ihm noch lange in der Erinnerung an¬
genehm war.

Er ſchlug und balgte ſich mit Straßenbuben,
verſaͤumte die Lehrſtunden in der Schule, und
quaͤlte einen Hund, den ſeine Eltern hatten,
wie und wo er nur konnte.

In der Kirche, wo er ſonſt ein Muſter der
Andacht geweſen war, plauderte er mit ſeines
Gleichen den ganzen Gottesdienſt uͤber.

Oft fiel es ihm ein, daß er auf einem boͤſen
Wege begriffen ſey, er erinnerte ſich mit Weh¬

E 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0079" n="69"/>
      <p>Er wollte &#x017F;ich noch an die letzte Stu&#x0364;tze hal¬<lb/>
ten, und &#x017F;ich von &#x017F;einen ehemaligen Mit&#x017F;chu&#x0364;lern<lb/>
jedes aufgegebene Pen&#x017F;um &#x017F;agen la&#x017F;&#x017F;en, um es<lb/>
zu Hau&#x017F;e zu lernen, und auf die Wei&#x017F;e mit ihnen<lb/>
fortzuru&#x0364;cken, als aber auch dies nicht gehen<lb/>
wollte, &#x017F;o erlag &#x017F;eine bisherige Tugend und<lb/>
Fro&#x0364;mmigkeit, und er ward wirklich eine Zeitlang<lb/>
aus einer Art von Mißmuth und Verzweiflung,<lb/>
was man einen bo&#x0364;&#x017F;en Buben nennen kann.</p><lb/>
      <p>Er zog &#x017F;ich muthwilliger Wei&#x017F;e in der Schule<lb/>
Schla&#x0364;ge zu, und hielt &#x017F;ie alsdann mit Trotz und<lb/>
Standhaftigkeit aus, ohne eine Miene zu ver¬<lb/>
ziehen, und dies machte ihm dazu ein Vergnu&#x0364;¬<lb/>
gen, das ihm noch lange in der Erinnerung an¬<lb/>
genehm war.</p><lb/>
      <p>Er &#x017F;chlug und balgte &#x017F;ich mit Straßenbuben,<lb/>
ver&#x017F;a&#x0364;umte die Lehr&#x017F;tunden in der Schule, und<lb/>
qua&#x0364;lte einen Hund, den &#x017F;eine Eltern hatten,<lb/>
wie und wo er nur konnte.</p><lb/>
      <p>In der Kirche, wo er &#x017F;on&#x017F;t ein Mu&#x017F;ter der<lb/>
Andacht gewe&#x017F;en war, plauderte er mit &#x017F;eines<lb/>
Gleichen den ganzen Gottesdien&#x017F;t u&#x0364;ber.</p><lb/>
      <p>Oft fiel es ihm ein, daß er auf einem bo&#x0364;&#x017F;en<lb/>
Wege begriffen &#x017F;ey, er erinnerte &#x017F;ich mit Weh¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 3<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0079] Er wollte ſich noch an die letzte Stuͤtze hal¬ ten, und ſich von ſeinen ehemaligen Mitſchuͤlern jedes aufgegebene Penſum ſagen laſſen, um es zu Hauſe zu lernen, und auf die Weiſe mit ihnen fortzuruͤcken, als aber auch dies nicht gehen wollte, ſo erlag ſeine bisherige Tugend und Froͤmmigkeit, und er ward wirklich eine Zeitlang aus einer Art von Mißmuth und Verzweiflung, was man einen boͤſen Buben nennen kann. Er zog ſich muthwilliger Weiſe in der Schule Schlaͤge zu, und hielt ſie alsdann mit Trotz und Standhaftigkeit aus, ohne eine Miene zu ver¬ ziehen, und dies machte ihm dazu ein Vergnuͤ¬ gen, das ihm noch lange in der Erinnerung an¬ genehm war. Er ſchlug und balgte ſich mit Straßenbuben, verſaͤumte die Lehrſtunden in der Schule, und quaͤlte einen Hund, den ſeine Eltern hatten, wie und wo er nur konnte. In der Kirche, wo er ſonſt ein Muſter der Andacht geweſen war, plauderte er mit ſeines Gleichen den ganzen Gottesdienſt uͤber. Oft fiel es ihm ein, daß er auf einem boͤſen Wege begriffen ſey, er erinnerte ſich mit Weh¬ E 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/79
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/79>, abgerufen am 23.11.2024.