fühlte zum erstenmale die wunderbare Einschrän¬ kung, die seine damalige Existenz von der gegen¬ wärtigen beinahe so verschieden machte, wie das Daseyn vom Nichtseyn.
Wo mag jetzt wohl Julchen seyn? dachte er seiner Mutter nach, und Nähe und Ferne, Enge und Weite, Gegenwart und Zukunft blitzte durch seine Seele. Seine Empfindung dabei mahlt kein Federzug; tausendmal ist sie wieder in seiner Seele, aber nie mit der ersten Stärke, erwacht.
Wie groß ist die Seligkeit der Einschränkung, die wir doch aus allen Kräften zu fliehen suchen! Sie ist wie ein kleines glückliches Eiland in ei¬ nem stürmischen Meere: wohl dem, der in ihrem Schooße sicher schlummern kann, ihn weckt keine Gefahr, ihm drohen keine Stürme. Aber wehe dem, der von unglücklicher Neugier getrieben, sich über dies dämmernde Gebirge hinauswagt, das wohlthätig seinen Horizont umschränkt.
Er wird auf einer wilden stürmischen See von Unruh und Zweifel hin und her getrieben, sucht unbekannte Gegenden in grauer Ferne, und sein kleines Eiland, auf dem er so sicher wohnte, hat alle seine Reize für ihn verlohren.
D
fuͤhlte zum erſtenmale die wunderbare Einſchraͤn¬ kung, die ſeine damalige Exiſtenz von der gegen¬ waͤrtigen beinahe ſo verſchieden machte, wie das Daſeyn vom Nichtſeyn.
Wo mag jetzt wohl Julchen ſeyn? dachte er ſeiner Mutter nach, und Naͤhe und Ferne, Enge und Weite, Gegenwart und Zukunft blitzte durch ſeine Seele. Seine Empfindung dabei mahlt kein Federzug; tauſendmal iſt ſie wieder in ſeiner Seele, aber nie mit der erſten Staͤrke, erwacht.
Wie groß iſt die Seligkeit der Einſchraͤnkung, die wir doch aus allen Kraͤften zu fliehen ſuchen! Sie iſt wie ein kleines gluͤckliches Eiland in ei¬ nem ſtuͤrmiſchen Meere: wohl dem, der in ihrem Schooße ſicher ſchlummern kann, ihn weckt keine Gefahr, ihm drohen keine Stuͤrme. Aber wehe dem, der von ungluͤcklicher Neugier getrieben, ſich uͤber dies daͤmmernde Gebirge hinauswagt, das wohlthaͤtig ſeinen Horizont umſchraͤnkt.
Er wird auf einer wilden ſtuͤrmiſchen See von Unruh und Zweifel hin und her getrieben, ſucht unbekannte Gegenden in grauer Ferne, und ſein kleines Eiland, auf dem er ſo ſicher wohnte, hat alle ſeine Reize fuͤr ihn verlohren.
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fuͤhlte zum erſtenmale die wunderbare Einſchraͤn¬
kung, die ſeine damalige Exiſtenz von der gegen¬
waͤrtigen beinahe ſo verſchieden machte, wie das
Daſeyn vom Nichtſeyn.
Wo mag jetzt wohl Julchen ſeyn? dachte er
ſeiner Mutter nach, und Naͤhe und Ferne, Enge
und Weite, Gegenwart und Zukunft blitzte durch
ſeine Seele. Seine Empfindung dabei mahlt
kein Federzug; tauſendmal iſt ſie wieder in ſeiner
Seele, aber nie mit der erſten Staͤrke, erwacht.
Wie groß iſt die Seligkeit der Einſchraͤnkung,
die wir doch aus allen Kraͤften zu fliehen ſuchen!
Sie iſt wie ein kleines gluͤckliches Eiland in ei¬
nem ſtuͤrmiſchen Meere: wohl dem, der in ihrem
Schooße ſicher ſchlummern kann, ihn weckt keine
Gefahr, ihm drohen keine Stuͤrme. Aber wehe
dem, der von ungluͤcklicher Neugier getrieben,
ſich uͤber dies daͤmmernde Gebirge hinauswagt,
das wohlthaͤtig ſeinen Horizont umſchraͤnkt.
Er wird auf einer wilden ſtuͤrmiſchen See
von Unruh und Zweifel hin und her getrieben,
ſucht unbekannte Gegenden in grauer Ferne,
und ſein kleines Eiland, auf dem er ſo ſicher
wohnte, hat alle ſeine Reize fuͤr ihn verlohren.
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/59>, abgerufen am 17.06.2024.
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