Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Stimme hätte hören lassen, die den sogenann¬
ten Ruprecht oder Vorgänger des heiligen
Christs anzeigte, den Anton denn im ganzen
Ernst für einen Geist oder ein übermenschliches
Wesen hielt, und so ging auch diese ganze Zeit
über keine Nacht hin, wo er nicht mit Schre¬
cken und Angstschweiß vor der Stirne aus dem
Schlaf erwachte.

Dies währte bis in sein achtes Jahr, wo erst
sein Glaube an die Wirklichkeit des Ruprechts so¬
wohl als des heiligen Christs an zu wanken fing.

So theilte ihm seine Mutter auch eine kin¬
dische Furcht vor dem Gewitter mit. Seine
einzige Zuflucht war alsdann, daß er, so fest er
konnte, die Hände zusammen faltete, und sie
nicht wieder auseinander ließ, bis das Gewitter
vorüber war; dies, nebst dem über sich geschla¬
genen Kreuze, war auch seine Zuflucht, und
gleichsam eine feste Stütze, so oft er alleine
schlief, weil er dann glaubte, es könne ihm
weder Teufel noch Gespenster etwas anhaben.

Seine Mutter hatte einen sonderbaren Aus¬
druck, daß einem, der vor einem Gespenste flie¬
hen will, die Fersen lang werden; dies fühlte

Stimme haͤtte hoͤren laſſen, die den ſogenann¬
ten Ruprecht oder Vorgaͤnger des heiligen
Chriſts anzeigte, den Anton denn im ganzen
Ernſt fuͤr einen Geiſt oder ein uͤbermenſchliches
Weſen hielt, und ſo ging auch dieſe ganze Zeit
uͤber keine Nacht hin, wo er nicht mit Schre¬
cken und Angſtſchweiß vor der Stirne aus dem
Schlaf erwachte.

Dies waͤhrte bis in ſein achtes Jahr, wo erſt
ſein Glaube an die Wirklichkeit des Ruprechts ſo¬
wohl als des heiligen Chriſts an zu wanken fing.

So theilte ihm ſeine Mutter auch eine kin¬
diſche Furcht vor dem Gewitter mit. Seine
einzige Zuflucht war alsdann, daß er, ſo feſt er
konnte, die Haͤnde zuſammen faltete, und ſie
nicht wieder auseinander ließ, bis das Gewitter
voruͤber war; dies, nebſt dem uͤber ſich geſchla¬
genen Kreuze, war auch ſeine Zuflucht, und
gleichſam eine feſte Stuͤtze, ſo oft er alleine
ſchlief, weil er dann glaubte, es koͤnne ihm
weder Teufel noch Geſpenſter etwas anhaben.

Seine Mutter hatte einen ſonderbaren Aus¬
druck, daß einem, der vor einem Geſpenſte flie¬
hen will, die Ferſen lang werden; dies fuͤhlte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0057" n="47"/>
Stimme ha&#x0364;tte ho&#x0364;ren la&#x017F;&#x017F;en, die den &#x017F;ogenann¬<lb/>
ten Ruprecht oder Vorga&#x0364;nger des heiligen<lb/>
Chri&#x017F;ts anzeigte, den Anton denn im ganzen<lb/>
Ern&#x017F;t fu&#x0364;r einen Gei&#x017F;t oder ein u&#x0364;bermen&#x017F;chliches<lb/>
We&#x017F;en hielt, und &#x017F;o ging auch die&#x017F;e ganze Zeit<lb/>
u&#x0364;ber keine Nacht hin, wo er nicht mit Schre¬<lb/>
cken und Ang&#x017F;t&#x017F;chweiß vor der Stirne aus dem<lb/>
Schlaf erwachte.</p><lb/>
      <p>Dies wa&#x0364;hrte bis in &#x017F;ein achtes Jahr, wo er&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ein Glaube an die Wirklichkeit des Ruprechts &#x017F;<lb/>
wohl als des heiligen Chri&#x017F;ts an zu wanken fing.<lb/></p>
      <p>So theilte ihm &#x017F;eine Mutter auch eine kin¬<lb/>
di&#x017F;che Furcht vor dem Gewitter mit. Seine<lb/>
einzige Zuflucht war alsdann, daß er, &#x017F;o fe&#x017F;t er<lb/>
konnte, die Ha&#x0364;nde zu&#x017F;ammen faltete, und &#x017F;ie<lb/>
nicht wieder auseinander ließ, bis das Gewitter<lb/>
voru&#x0364;ber war; dies, neb&#x017F;t dem u&#x0364;ber &#x017F;ich ge&#x017F;chla¬<lb/>
genen Kreuze, war auch &#x017F;eine Zuflucht, und<lb/>
gleich&#x017F;am eine fe&#x017F;te Stu&#x0364;tze, &#x017F;o oft er alleine<lb/>
&#x017F;chlief, weil er dann glaubte, es ko&#x0364;nne ihm<lb/>
weder Teufel noch Ge&#x017F;pen&#x017F;ter etwas anhaben.</p><lb/>
      <p>Seine Mutter hatte einen &#x017F;onderbaren Aus¬<lb/>
druck, daß einem, der vor einem Ge&#x017F;pen&#x017F;te flie¬<lb/>
hen will, die Fer&#x017F;en lang werden; dies fu&#x0364;hlte<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0057] Stimme haͤtte hoͤren laſſen, die den ſogenann¬ ten Ruprecht oder Vorgaͤnger des heiligen Chriſts anzeigte, den Anton denn im ganzen Ernſt fuͤr einen Geiſt oder ein uͤbermenſchliches Weſen hielt, und ſo ging auch dieſe ganze Zeit uͤber keine Nacht hin, wo er nicht mit Schre¬ cken und Angſtſchweiß vor der Stirne aus dem Schlaf erwachte. Dies waͤhrte bis in ſein achtes Jahr, wo erſt ſein Glaube an die Wirklichkeit des Ruprechts ſo¬ wohl als des heiligen Chriſts an zu wanken fing. So theilte ihm ſeine Mutter auch eine kin¬ diſche Furcht vor dem Gewitter mit. Seine einzige Zuflucht war alsdann, daß er, ſo feſt er konnte, die Haͤnde zuſammen faltete, und ſie nicht wieder auseinander ließ, bis das Gewitter voruͤber war; dies, nebſt dem uͤber ſich geſchla¬ genen Kreuze, war auch ſeine Zuflucht, und gleichſam eine feſte Stuͤtze, ſo oft er alleine ſchlief, weil er dann glaubte, es koͤnne ihm weder Teufel noch Geſpenſter etwas anhaben. Seine Mutter hatte einen ſonderbaren Aus¬ druck, daß einem, der vor einem Geſpenſte flie¬ hen will, die Ferſen lang werden; dies fuͤhlte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/57
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/57>, abgerufen am 10.10.2024.