worden, so daß sich in seine angenehmen Hoff¬ nungen oft eine Wehmuth mischte, die ihn in eine sanfte Melancholie versetzte. -- Oft stand er einsam an der Oder, und sahe irgend einem vorbeifahrenden kleinem Kahne nach, so weit er ihn mit den Augen verfolgen konnte -- dann war es ihm oft plötzlich, als habe er einen Blick in die dunkle Zukunft gethan, aber wenn er eben das angenehme Blendwerk fest zu halten glaubte, so war es auf einmal verschwunden.
Er suchte sich nun an allen Gegenden der Stadt, die er bisher auf seinen Spaziergängen des Sonntags besucht hatte, gleichsam noch einmal zu letzen, und nahm von einer nach der andern wehmüthig Abschied, so wie er sie nie wieder zu sehen hoffte.
Er hörte von dem Pastor P. . . noch ver¬ schiedne Predigten, worinn manche einzelne Stellen nie aus seinem Gedächtniß gekommen sind. --
Ganz außerordentlich rührte ihn in einer Predigt vom Leiden Jesu, der immersteigende Affekt, womit der Pastor P. . . die Worte sagte: mitleidsvoll sieht er auf seine Mörder herab,
und
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worden, ſo daß ſich in ſeine angenehmen Hoff¬ nungen oft eine Wehmuth miſchte, die ihn in eine ſanfte Melancholie verſetzte. — Oft ſtand er einſam an der Oder, und ſahe irgend einem vorbeifahrenden kleinem Kahne nach, ſo weit er ihn mit den Augen verfolgen konnte — dann war es ihm oft ploͤtzlich, als habe er einen Blick in die dunkle Zukunft gethan, aber wenn er eben das angenehme Blendwerk feſt zu halten glaubte, ſo war es auf einmal verſchwunden.
Er ſuchte ſich nun an allen Gegenden der Stadt, die er bisher auf ſeinen Spaziergaͤngen des Sonntags beſucht hatte, gleichſam noch einmal zu letzen, und nahm von einer nach der andern wehmuͤthig Abſchied, ſo wie er ſie nie wieder zu ſehen hoffte.
Er hoͤrte von dem Paſtor P. . . noch ver¬ ſchiedne Predigten, worinn manche einzelne Stellen nie aus ſeinem Gedaͤchtniß gekommen ſind. —
Ganz außerordentlich ruͤhrte ihn in einer Predigt vom Leiden Jeſu, der immerſteigende Affekt, womit der Paſtor P. . . die Worte ſagte: mitleidsvoll ſieht er auf ſeine Moͤrder herab,
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worden, ſo daß ſich in ſeine angenehmen Hoff¬
nungen oft eine Wehmuth miſchte, die ihn in
eine ſanfte Melancholie verſetzte. — Oft ſtand
er einſam an der Oder, und ſahe irgend einem
vorbeifahrenden kleinem Kahne nach, ſo weit
er ihn mit den Augen verfolgen konnte — dann
war es ihm oft ploͤtzlich, als habe er einen Blick
in die dunkle Zukunft gethan, aber wenn er
eben das angenehme Blendwerk feſt zu halten
glaubte, ſo war es auf einmal verſchwunden.
Er ſuchte ſich nun an allen Gegenden der Stadt,
die er bisher auf ſeinen Spaziergaͤngen des
Sonntags beſucht hatte, gleichſam noch einmal
zu letzen, und nahm von einer nach der andern
wehmuͤthig Abſchied, ſo wie er ſie nie wieder zu
ſehen hoffte.
Er hoͤrte von dem Paſtor P. . . noch ver¬
ſchiedne Predigten, worinn manche einzelne
Stellen nie aus ſeinem Gedaͤchtniß gekommen
ſind. —
Ganz außerordentlich ruͤhrte ihn in einer
Predigt vom Leiden Jeſu, der immerſteigende
Affekt, womit der Paſtor P. . . die Worte ſagte:
mitleidsvoll ſieht er auf ſeine Moͤrder herab,
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/157>, abgerufen am 26.06.2024.
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