Das that er denn auch, so sehr er konnte; er betete des Tages unzähligemal in einem Winkel auf seinen Knien, und erträumete sich zuletzt da¬ durch eine feste Ueberzeugung von der göttlichen Gnade, und eine solche Heiterkeit der Seele, daß er sich oft schon im Himmel glaubte, und sich nun manchmal den Tod wünschte, ehe er wieder von diesem guten Wege abkommen möchte.
Aber es konnte nicht fehlen, daß bei allen diesen Ausschweifungen seiner Phantasie, die Natur ihren Zeitpunkt wahrnahm, wo sie wie¬ der zurückkehrte -- und dann die natürliche Liebe zum Leben, um des Lebens willen, in Antons Seele wieder erwachte. -- Dann war ihm frei¬ lich der Gedanke an seinen bevorstehenden Tod sehr etwas Trauriges und Unangenehmes, und er betrachtete diese Augenblicke, als solche, wo er wieder aus der göttlichen Gnade gefallen sey, und gerieth darüber in neue Angst, weil es ihm nicht möglich war, die Stimme der Natur in sich zu unterdrücken.
Jetzt empfand er doppelt alle die traurigen Folgen des Aberglaubens, der ihm von seiner frühesten Kindheit an, eingeflößet war -- seine
Leiden
J 4
Das that er denn auch, ſo ſehr er konnte; er betete des Tages unzaͤhligemal in einem Winkel auf ſeinen Knien, und ertraͤumete ſich zuletzt da¬ durch eine feſte Ueberzeugung von der goͤttlichen Gnade, und eine ſolche Heiterkeit der Seele, daß er ſich oft ſchon im Himmel glaubte, und ſich nun manchmal den Tod wuͤnſchte, ehe er wieder von dieſem guten Wege abkommen moͤchte.
Aber es konnte nicht fehlen, daß bei allen dieſen Ausſchweifungen ſeiner Phantaſie, die Natur ihren Zeitpunkt wahrnahm, wo ſie wie¬ der zuruͤckkehrte — und dann die natuͤrliche Liebe zum Leben, um des Lebens willen, in Antons Seele wieder erwachte. — Dann war ihm frei¬ lich der Gedanke an ſeinen bevorſtehenden Tod ſehr etwas Trauriges und Unangenehmes, und er betrachtete dieſe Augenblicke, als ſolche, wo er wieder aus der goͤttlichen Gnade gefallen ſey, und gerieth daruͤber in neue Angſt, weil es ihm nicht moͤglich war, die Stimme der Natur in ſich zu unterdruͤcken.
Jetzt empfand er doppelt alle die traurigen Folgen des Aberglaubens, der ihm von ſeiner fruͤheſten Kindheit an, eingefloͤßet war — ſeine
Leiden
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Das that er denn auch, ſo ſehr er konnte; er
betete des Tages unzaͤhligemal in einem Winkel
auf ſeinen Knien, und ertraͤumete ſich zuletzt da¬
durch eine feſte Ueberzeugung von der goͤttlichen
Gnade, und eine ſolche Heiterkeit der Seele,
daß er ſich oft ſchon im Himmel glaubte, und ſich
nun manchmal den Tod wuͤnſchte, ehe er wieder
von dieſem guten Wege abkommen moͤchte.
Aber es konnte nicht fehlen, daß bei allen
dieſen Ausſchweifungen ſeiner Phantaſie, die
Natur ihren Zeitpunkt wahrnahm, wo ſie wie¬
der zuruͤckkehrte — und dann die natuͤrliche Liebe
zum Leben, um des Lebens willen, in Antons
Seele wieder erwachte. — Dann war ihm frei¬
lich der Gedanke an ſeinen bevorſtehenden Tod
ſehr etwas Trauriges und Unangenehmes, und
er betrachtete dieſe Augenblicke, als ſolche, wo
er wieder aus der goͤttlichen Gnade gefallen ſey,
und gerieth daruͤber in neue Angſt, weil es ihm
nicht moͤglich war, die Stimme der Natur in
ſich zu unterdruͤcken.
Jetzt empfand er doppelt alle die traurigen
Folgen des Aberglaubens, der ihm von ſeiner
fruͤheſten Kindheit an, eingefloͤßet war — ſeine
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/145>, abgerufen am 26.06.2024.
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